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Peter Sebald [Senior Experten Service, Bonn, Deutscher Text des am 14. April 2010 am Goethe-Institut Lomé in französischer Übersetzung gehaltenen Vortrages]

Togo – 50 Jahre Unabhängigkeit und das Erbe der deutschen Kolonialära

Aus aktuellem Anlaß muß ich zur französischen Regierung und ihrer Togopolitik sprechen. Natürlich hatte ich bereits in dem Entwurf meines Vortrages erwähnt, dass der Staat Togo mehrere Väter hat: die Regierungen des deutschen Kaiserreiches, Großbritanniens und der Französischen Republik. Die europäischen Diplomaten haben am Grünen Tisch in Paris, London und Paris willkürlich die Grenzen von Togo festgelegt und seine schmale Gestalt mit all ihren aktuellen Problemen geschaffen. Aber wie einer aktuellen Information von „Togo-Presse“ vom 2. April 2010 (S.7) zu entnehmen ist, spricht der französische Altminister Jacques Toubon, Generalsekretär des „Cinquantenaire des independances africaines“ von Togo als einer ehemaligen „französischen Kolonie“ (siehe „Togo-Presse“ vom 2.4.2010, S. 7). Natürlich weiß der Minister, dass Togo niemals französische Kolonie gewesen ist, sondern ein Mandatsgebiet des Völkerbundes bzw. ein Treuhandgebiet der UNO. Wenn er die Geschichte manipuliert, so überrascht dies nicht, angesichts der Nostalgie und der kolonialen Renaissance in Frankreich und in Westeuropa. Aber hat die togoische Regierung die französischen Anmaßungen offiziell zurückgewiesen? – Ich möchte unterstreichen, dass ich francophil bin, meine Großmutter mütterlicherseits war eine geborene Clemenceau, eine nach Preußen emigrierte Hugenottenfamilie. Aber ich bin prinzipiell gegen die kleine Gruppe von Kolonialisten in allen Ländern, denn sie waren Initiatoren von Kriegen. –

Ich bin jedoch kein Politiker sondern nur ein Historiker, der notiert, was passiert ist. Aber der berühmte Dichter Johann Wolfgang von Goethe schrieb von vor 250 Jahren: „Eine Chronik schreibt nur derjenige, dem die Gegenwart wichtig ist.“

Seit dem 31. Juli 1956 - ich war damals 22 Jahre alt - befasse ich mich mit der Geschichte Togos, besonders der Epoche der deutschen Kolonialherrschaft 1884-1914. Ich kenne sozusagen die deutschen Großeltern Togos persönlich. Denn das Deutsche Kaiserreich gehört auch zu meinen Vorfahren. Ich weiß aus den damals geheim gehaltenen Dokumenten, warum das Kaiserreich die Kolonie Togo 1884 geschaffen hat, wie die Administration Menschen in Togo 30 Jahre lang erzogen hat, mit welchen Methoden und in welchen Sinn. Vier Regierungsschulen und zwölf Gefängnisse! Das bedarf keines Kommentars. Die offizielle Prügelstrafe betrug 25, und der letzte wurde mit den Worten begleitet „and one for the Kaiser“. Die deutschen Kolonialisten hatten Togo zu ihrer „Musterkolonie“ erklärt. Es war eine Musterkolonie: für die deutschen Kolonisatoren, aber nicht für die afrikanischen Kolonisierten.

Vor 50 Jahren reihten sich die Togoer in die Geschichte der Menschheit ein. Denn in der 2000jährigen Geschichte der Kolonialimperien hatten sich immer und überall auf der Welt die Unterdrückten vom Joch der Kolonialherrschaft befreit, sobald es ihnen möglich war. Diese Tatsache ist die beste Antwort auf jegliche glorifizierende Kolonialpropaganda.

Im Jahre 1960 – dem Jahr Afrikas – befreiten sich in West- und Zentralafrika 17 Staaten vom Kolonialjoch, darunter Togo sowie Kamerun, zwei der vier ehemals deutschen Kolonien in Afrika. 1960 sah in einem Dokumentarfilm, wie die Togoer und insonderheit die Bewohner Lomés am 27. April 1960 die Unabhängigkeit jubelnd begrüßte. Sie hatten allen Grund dazu: Denn sie erlebten nach 74 Jahren ausländischer Herrschaft eine wirkliche Revolution: die kleine Minderheit europäischer, kolonialer Administratoren musste gehen, Afrikaner übernahmen die politische Verantwortung in Togo. Hoffnung in die Zukunft erfasste die Menschen, nicht nur in Togo, sondern überall auf der Welt, denn die Mehrheit der Menschen auch in den europäischen kolonialen Metropolen war und ist antikolonial gesinnt. Ich weiß noch, wie ich vor 50 Jahren in Berlin und Leipzig die Unabhängigkeit feierte, natürlich auf deutsche Art, das heißt mit viel Bier und mit vielen Hoffnungen.

Als Schulkind hatte ich noch unter den Naziregime 4 Jahre lang gelehrt bekommen, ich würde nach siegreichem Weltkrieg in einem großen deutschen Kolonialimperium als Administrator eingesetzt werden, 1960 freute ich mich, dass ich nun in ein selbständiges Togo kommen würde. Das war nun kein einfacher Weg bis zur Ankunft in Togo im Jahre 1990. Aber 1990 kam ich nicht mit leeren Händen. In konnte dem Staatspräsidenten Eyadéma mein gerade erschienenes Buch überreichen: „Togo 1884-1914. Eine Geschichte der deutschen ‚Musterkolonie’ auf der Grundlage amtlicher Quellen“, erschienen 1988 im Akademie-Verlag mit 816 Seiten. Hier zeige ich, wie Togoer unter der deutschen Herrschaft gelebt und agiert haben, wie die einen vom Geist der Freiheit beseelt waren, andere vom Geist der Unterwürfigkeit und der Kollaboration.

Wie in meinem Buch, so habe ich in meinem gesamten Leben immer jegliche Kolonial-herrschaft prinzipiell abgelehnt, besonders das deutschen Rassistenregime, das ganz offiziell die Menschen nach ihrer Hautfarbe diskriminierte. Viele Deutsche anerkennen meine Haltung, dass ich als Deutscher das deutsche Kolonialregime konsequent kritisiere. Andere haben dafür kein Verständnis, auch wenn sie das nicht immer öffentlich sagen. Denn meine Reaktion lautet: „Wer ein Rassistenregime glorifiziert, der kennzeichnet sich selbst.“

Aber da sich die Menschen nicht nach der Hauptfarbe unterscheiden, so weiß ich auch, dass einzelne Togoer meinen Antikolonialismus ablehnen. Sie beharren auf dem, was sie über fünf Jahrzehnte in den Schulen in Togo über die deutsche Kolonialperiode an glorifizierenden Thesen gehört haben.

21 Jahre lang habe ich nun im Nationalarchiv von Togo und an der Universität Lomé jeweils für drei Monate und mehr in jedem Jahr gearbeitet, insgesamt etwa sechs Jahre. Ich bin also in den letzten zwei Jahrzehnten nicht mehr nur der beobachtende Historiker von außen, sondern erlebe die Geschichte Togos „von innen“.

In den letzten 50 Jahren ist sicherlich die 1960 begonnene Revolution fortgesetzt worden, die Afrikanisierung schreitet voran. Aber das ist nur der eine Trend, Der andere Trend in den vergangenen 50 Jahren ist die Restauration. Denn die entwickelten Industriestaaten wollen die in der Ära direkte Kolonialherrschaft geschaffene Abhängigkeit neu gestalten und die Diskrepanz im sozialökonomischen Entwicklungsniveau aufrechterhalten. Schon 1957 gründeten die damaligen und früheren Kolonialmächte Westeuropas die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, heute die “European Union”. 1958 erklärte General ELY, Oberbefehlshaber der französischen Armee: Frankreich ist nicht fähig seine Kolonial-herrschaft in Afrika südlich der Sahara aufrechtzuerhalten. Wir müssen alle unsere Kolonien in unabhängige Staaten und in eine neue Rolle von Satellitenstaaten überführen. „Aber das muß eine gemeinsame Aufgabe der Europäischen Freien Welt sein.” Die deutsche Botschaft in Paris informierte sofort am 3.11.1958 die Bundesregierung in Bonn. [PAAA, B 34, Bd. 30]

Seit 2002 werte ich nämlich auch die Akten des deutschen Auswärtigen Amts betr. Togo und Ghana aus, seit das Politische Archiv mit dem Auswärtigen Amt [PAAA] von Bonn nach Berlin übergesiedelt ist. Hier wird so mancher togoische Germanisten und Historiker Quellen zur Geschichte des unabhängigen Togo finden, denn in Lomé, im sogenannten Nationalarchiv gibt es noch keine Akte aus der Zeit des unabhängigen Togo. So wichtig auch europäische Akten für die Geschichte Togos sein mögen, entscheidend war und ist das Geschichtsbewusstsein der Menschen in Togo.

Was ist zum deutschen Erbe zu sagen.

Im April 2010 sollten ursprünglich zwei Ereignisse stattfinden: die Präsidentenwahlen und der 50. Jahrestag der Unabhängigkeit Die Togoer sind jedoch zunächst durch das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen vom 4. März mit der Geschichte ihrer eigenen Staates konfrontiert worden. Denn auch in 50 Jahren ist das Problem zwischen den in Nordtogo und in Südtogo lebenden Ethnien nicht zur Zufriedenheit der Menschen gelöst. Aber kann das Problem überhaupt gelöst werden? Denn das ist ein Erbe der deutsch-kolonialen Vergangenheit. Eigentlich ein Erbe der direkten Kolonialherrschaft. Denn alle der 101 Grenzen auf dem afrikanischen Kontinent haben europäische Diplomaten am „Grünen Tisch“ in Europa um 1900 willkürlich festgelegt, 1897 die heute gültige Süd-, Ost- und Nordgrenze Togos. Sie spalteten damit zahlreiche Ethnien und schlossen andere in diesen aufgezwungenen Grenzen zusammen. Die ethnischen Nord-Süd-Differenzen im heutigen Togo haben hier ihren Ausgangspunkt. 

Die bemerkenswerte geographische Gestaltung des Kolonialgebietes Togo, des heutigen Staatsgebietes der Republik Togo, wirkt bis auf den heutigen Tag. Sucht heute irgend jemand auf der Welt – und sei es ein togoischer Schüler - Togo auf einer politischen Karte Afrikas, erkennt jeder mit dem ersten Blick: Ein Territorium von 540 km Länge und durchschnittlich 100 km Breite zieht sich als schmaler Streifen ins Landesinnere. Aber auf Grund dieser geographischen Gestalt blieb Togo seit 1884 Ausschnitt aus der größeren Region Westafrika. Die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen in dieser Region Westafrika haben seit 1884 langfristig jene in Togo geprägt, nicht umgekehrt die Bedingungen in Togo jene in den Nachbarkolonien bzw. heute Nachbarstaaten.

Die Wahlen am 4. März erinnerten die Togoer, insonderheit aber die Bürger in Lomé, an eine andere Realität aus der deutschen Ära. Der Wahlbezirk Lomé Commune No. 1 ist identisch mit dem 1984 geschaffenen Arrondissement 1. Es ist der Stadtkern aus der deutschen Ära, und seine Grenzen sind jedem Bewohner von Lomé aus dem tagtäglichen Leben bekannt: Es ist der „Boulevard 13 janvier“, die 1905 von einem einfachen deutschen Landvermesser projektierte „Ringstraße“, vollendet in der französischen Kolonialzeit als „Boulevard Circulaire“. Der Boulevard 13 janvier beginnt am Boulevard de la République, der sich am Strand von der Grenze zu Ghana bis zum Hafen von Lomé erstreckt, und zwar zweimal: im Westen und im Osten des Zentrum. Die Ringstraße ist ein Halbkreis im Radius von ca. 1,5 km Länge um das Zentrum, den Ausgangspunkt der Stadt Lomé.

Dieses vom Boulevard umschlossene Zentrum kennt jeder Bürger, wo immer er in Lomé oder in der Umgebung der Hauptstadt lebt, aber kennt er dessen Geschichte?

- Er kennt vor allem den Grand Marché. In dessen Nähe am Strand baute 1877 – also sieben Jahre vor der deutschen Kolonisation – ein aus der Goldküste zugewanderter Händler Quashi Bruce das erste Haus im modernen Lomé. Der Markt war damals natürlich ein kleiner Markt.

- Jeder kennt die erste Hauptstraße von Lomé in nordöstlicher Richtung. Das erste Dorf Lomé oder Alomé hatten um 1700 von aus Notse zugewanderten Ewe gegründet. Damals war die ganze Sandbank zwischen der Lagune und dem Strand bedeckt mit hohen Büschen, den Alo oder Lo-Büschen. Folglich nannten die Ewe diesen Platz Lo-meh, den Platz in den Lo-Büschen. Aber nach einigen Jahren wanderte die Mehrzahl in Richtung Kpalimé ab, nur eine Familie siedelte sich im Nachbardorf an. Als seit 1877 für den atlantischen Handel am Strand eine Siedlung entstand, nannten die Menschen – wie überall an der westafrikanischen Küste Brauch – diese nach dem Mutterdorf an der Lagune: „ Beach“. Folglich führte der erste Weg durch die Lo-Büsche in nordöstlicher Richtung bis zum Dorf Amoutivé. Dort hatte der traditionelle Weg südlich entlang der Lagune von nach Aflao einen Abzweig auf das Plateau; auch in der Regenzeit konnten Fußgänger hier die Lagune passieren (deshalb der Name Amoutivé = Weggabelung). Heute mündet die Straße in die Staatsstraße Nr. 1.

- Jeder kennt die zweite Hauptstraße von Lomé in nordwestlicher Richtung nach Kpalimé.

Im Dezember 1879 schlossen die Chefs von Aflao mit dem britischen District Commissioner von Keta einen Protektoratsvertrag, die Chefs von nicht. Denn nun würde der Handelsplatz Lomé der nächstgelegene Ort sein, an dem keine Zölle an die Briten gezahlt werden mussten. Sofort eröffneten Haussa-Fernhändler aus Salaga einen neuen Weg vom Markt, und zwar in nordwestliche Richtung nach Kpalimé  oder Ho und Kpandu bis Salaga. Sie brachten die in Lomé importierten Waren in das politische noch unabhängige Hinterland der Goldküsten Colony. Es war also kein Schmuggel, wie die Briten es nannten. Aber die Deutsche Regierung gründet die Togokolonie bewusst als „Import“-Gebiet. An diese Funktion Togos müssten heute so mancher Togobeamte erinnert werden.

- Jeder kennt die Querstraßen, parallel zum Strand. Zwischen beiden Fernverkehrswegen siedelten sich in vorkolonialer Zeit Afrikaner an, darunter auch 1882 ein 22jähriger Handelsagent genannt Oktaviano Olympio, Onkel des späterem Präsidenten Sylvanus Olympio. Diese Ansiedler bildeten die ersten beiden Straßen.

- In den Jahren nach dem Protektoratsvertrag 1884 etablierte sich die deutsche Administration bei dem Dorf Zébé auf dem Plateau hinter der Lagune von Aného. Sie schickte erst nach fünf Jahren, 1889, den ersten deutschen Beamten, Richard Küas, nach Lomé. Die deutsche Verwaltung übernahm das bereits seit 1877 entstandene Wegesystem, begradigte aber nach deutschem Brauch alle Straßen. Sie projektierte 1889 nur zwei neue Straßen, senkrecht zum Strand bis sie die Ausfallstraßen nach Kpalimé bzw. Amoutivé erreichten. Damit wollte die Administration die bestehenden Afrikanersiedlung Lomé an beiden Seiten begrenzen, und zwar

- im Westen die „Regierungsstraße“ [heute Rue Koumore, östlich vom Hotel „Palm Beach“], als Einbahnstraße vom Norden nach Süden zum Strand allgemein bekannt.

- im Osten die „Missionsstraße“ [Av. Maman N’Danidá], die heute keinerlei Bedeutung hat.

Hinzu kam die „Mittelstraße“, heute jedem Bürger bekannt als Av. de la Libération.

Da beide Fernverkehrswege vom Markt nach Norden immer weiter auseinander gingen, schuf Richard Küas seit 1890 in der Mitte eine nach Norden verlaufende Straße. Später verlängerte die Administration diese Mittelstraße, sie erwarb Grundbesitz, der - wie eine Dachfirst - einen flachen Winkel bildete: möglicherweise hatte dort das alte Dorf Lomé gelegen. Sie projektierte dort 1905 einen großes Rondell, von dem nach beiden Seiten - nach Westen wie nach Osten - die künftige Ringstraße gebaut werden sollte. Nach Norden jedoch sollte die Mittelstraße über die Lagune hinausreichen.

- Schließlich kennen jeder das im Zentrum gelegene „Quartier administratif“, weil dort auch alle wichtigen Ministerien liegen. Auch der Präsident hat seinen Amtssitz hier am Strand, wenn auch nicht mehr im deutsche Gouverneurspalast, dem ältesten Haus von Lomé.

Das deutsche „Regierungsviertel“ (1897-1914), etwa ein Quadratkilometer groß, nimmt das gesamte westliche Drittel des von der „Ringstraße“ umschlossenen Gebietes ein. Zur deutschen Zeit lebten und arbeiteten hier etwa 50 Beamte. Schrittweise wandelte die Administration das Viertel in ein „Weißenviertel“. Das nur für Afrikaner gebaute große Gefängnis befindet sich dort, und es wird bis auf den heutigen Tag als solches genutzt. Das heutige das „Quartier administratif“ ist immer noch als Wohngebiet sehr dünn besiedelt.

Noch einige Bemerkungen zur „Ringstraße“, dem Boulevard Ciculaire.

Die Administration erweitete 20 Jahre lang das übernommene Siedlungsschema bis zur 10. Parallelstraße, der „Sanguerastraße“ [Rue de 24 janvier] ca. 7.000 Afrikaner lebten hier, die Parzellen wurden immer kleiner. Außerdem siedelten sich Afrikaner einfach im Osten, Nordosten und Norden des bisher eingegrenzten Siedlungsgebietes von Lome an. Ein neues Stadtgebiet von Lomé musste abgerenzt werden. Die Katasterbeamten schlugen 1905 vor, in einem großen Halbkreis beide Stadtteile zu vereinen und innerhalb dieses Kreises, aber auch außerhalb die neuen Straßen ringförmig anzulegen. Die grundlegende Idee war so gut, dass sie bis zu Gegenwart das Stadtbild bestimmt, nicht nur innerhalb des Boulevard Circulaire, sondern auch außerhalb.

Diese großzügige Planung der Straßen von 1905 bis 1914 ist anzuerkennen, jedoch nicht zu glorifizieren. Denn auf anderen Gebieten der kommunalen Versorgung konnte die Administration die damaligen Erfordernisse nicht verwirklichen. Sie konnte bis 1914 in der Stadt keine Wasserleitung, kein Elektrizitätswerk, keine Kanalisation und anderes bauen. Es fehlte das Geld. Die Regierung des Kaiserreichs war dafür nicht bereit, für ihre „Muster-kolonie“ auch nur eine Mark Entwicklungshilfe zu geben. Togo müsse sich, als Vorbild für alle deutschen Kolonien selbst finanzieren. Mit dem in Togo erwirtschafteten Geld baute die Administration vor allen Dingen ihre Gebäude für die Deutschen im Regierungsviertel. Vier Amtsgebäude und 12 Wohnhäuser bestehen heute noch und werden genutzt. Auf dem Tennis- platz am südlichen Beginn der Avenue Sarakawa neben dem Gouverneurspalast, 1909 nur für „Weiße“ (Oberbeamte) gebaut, kann heute jedes Mitglied der Association Amicale de Tennis, ungeachtet seiner Hautfarbe, spielen

Eine großzügige, vorausschauende Straßenplanung hingegen kostete wenig und gab Lomé ein städtisches Aussehen. Wenn auch nicht eine Straße asphaltiert war, zu beiden Straßenseiten waren Alleebäume gepflanzt. Alle Straßen waren sauber, weil jeder Grundstückbesitzer bis zur Mitte der Straße verantwortlich war.

Zusammenfassend ist zu sagen:

1. Die Straßenplanung war gelungen, weil sich hier nicht irgendein Beamter etwas abstrakt ausgedacht hatte. Die Verwaltung hatte das afrikanische Wege- und Siedlungssystem aus vorkolonialer Zeit übernommen und auch in der deutschen Ära bis 1914 die afrikanischen Realitäten sinnvoll einbezogen, wenn auch das Motiv der kolonialen Überwachung und Disziplinierung eine wichtige Rolle spielte.

2. Ein wichtiges Erbe aus der deutschen Ära ist im unabhängigen Togo immer mehr aufgegeben worden. Die Alleebepflanzung garantierte ein kühles Mikroklima und ein städtischen Aussehen, da außerdem die Straßenreinigung an die anwohnenden Grundbesitzer übertragen war, war Lomé eine ansehbare Stadt. Gewiß mussten altersschwache Alleebäume gefällt werden. Aber warum wurde nicht einmal ein Alleebaum nachgepflanzt?

Der alte Stadtkern, in Sonderheit der Boulevard Circulaire, erfährt 2010 eine neue Aufwertung. Der Boulevard de la République zwischen der Ghana-Grenze und dem Tiefseehafen wird durch eine neue Autobahn mit zwei je 9 Meter breiten Fahrspuren ausgebaut. Auf dieser Strecke hat die Autobahn nur zwei Rondelle, und zwar am Ostende sowie am Westende des Boulevards Circulaire, der Ringstraße. Auch Fremde in Togo werden durch die Rondelle in die wichtigste Straße im innerstädtischen Verkehr und dem Anschluß nach Norden (Staatsstraße Nr.1) und nach Nordwesten (Richtung Kpalimé) gelenkt. Es wäre für das historische Denken der Bürger von Lomé höchst wünschenswert, wenn der offizielle Name „Boulevard 13 janvier durch zusätzlichen Schilder: 1905-1914 „Ringstraße“, 1920 - 1963 „Boulevard Circulaire“ ergänzt würde (wie auch die Rue de Commerce: „Hamburger Straße“ sowie die „Bremer Straße“, Hamburg und Bremen sind Partnerstädte von Lomé)

Der neue, breite Boulevard de la Republique erinnert an die wichtigste Hilfe der Bundesrepublik für Togo in den letzten 50 Jahren, den 1967 erbauten Tiefseehafen. Denn – als unbeabsichtigte Nebenwirkung – wurde durch den Hafen die gesamte Küste von Aného bis Aflao neu gestalten. Weil die in den Ozean vorgeschobene Hafenmole die Meeresströmungen entlang der Küste veränderte, drang der Ozean an der östlich gelegenen Küste über hundert Meter ins Land, während er westlich des Hafens über hundert Meter anschwemmte. So wurde indirekt mit bundesdeutscher Hilfe das Terrain für die neue breite Autobahn geschaffen.

Langfristig wird die neue Autobahn das Bewußtsein der Togoer wandeln, besonders wenn auch die Straße vom Hafen bis nach Baguida geschlossen wird. Denn dann kann die 50 km lange Distanz von der Westgrenze Togos zur Ostgrenze auf der Schnellstraße in 30 bis 50 Minuten durchquert werden. Bis jetzt leben die Togo in dem Bewusstsein, ihr Staat ist mit 540 km ganz schön lang, wenn auch nur durchschnittlich 100 km breit. Mit der Schnellstraße wird die geringe Breite Togos an der Küsten stärker ins Bewusstsein treten. Die Ursachen für die Gründung der Togokolonie werden wieder gefragt. Aber die Forschung hat die Tatsachen längst dargelegt: Am 5. Juli 1884 schlossen deutsche und togoische Geschäftspartner den Protektoratsvertrag, ohne Gewaltandrohung und Bestechung. Zwar hatte Reichskanzler Bismarck dem Generalkonsul und Afrikaforscher Dr. Gustav Nachtigal keine Instruktion gegeben, an dieser Küste eine Kolonie zu gründen. Der Name des unbedeutenden Dorfes „Togo“, nördlich der Lagune auf dem Plateau in Sichtweite des Ozeans gelegen, war in Deutschland unbekannt. Aber drei Häuptlinge aus Togo[ville], Plakku, Oklu, Kudertschi, kannten die Rivalitäten zwischen Afrikanern, Briten und Franzosen im Küstenbereich. Sie setzten auf den neuen deutschen Konkurrenten, der im Vertrag ihre vorgeblichen Macht-ansprüche zu verwirklichen versprach  Zum Beispiel erhob der Vertrag den religiösen Chef Mlapa zum „König“ und legte sein „Königreich“ von Aflao bis Gounoukopé fest. Ohne die Initiative und Unterschrift, ohne den Coup d’Etat der drei selbst ernannten Chefs aus Togoville wäre das Gebiet unter britische bzw. französische Kolonialherrschaft geraten.

Es war also das deutsche Kaiserreich, das als erster europäischer Staat die Ewe spaltete, gleich zweimal durch die noch heute bestehenden Grenzen. 1884 brauchte man allerdings einen ganzen Tagemarsch von Lomé nach Aneho, eine Fahrstraße an der Küste gab es bis 1914 nicht. Die 1905 eröffnete Eisenbahnlinie Lomé - Aného war nur so gebaut, dass der Zug durchschnittlich 25 km/h, Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h fahren konnte. Die Eisenbahnlinien – und das betrifft auch die Strecken in Richtung Kpalimé und Atakpame – hatten gegen die Konkurrenz des Autos keine Chance.

Die Aufspaltung von Ethnien und die Zwangsvereinigung in einer Kolonie durch die von europäischen Diplomaten gezogenen Grenzen wurde 1897 bzw.1899 abgeschlossen. Aber das alles waren keine natürlichen Grenzen. Es ist also unsinnig, sich auf den Grenzen von Deutsch-Togo als Ausgangspunkt zu berufen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass Mittel- und Nordtogo erst 1898 der deutschen direkten Herrschaft unterworfen wurde. Die Menschen haben zwar nur 16 Jahre in dieser ihnen oktroyierten Einheit gelebt. Aber durch die Steuerzahlung und Zwangsarbeit bis ins letzte Dorf wussten die Menschen, dass sie nun zur Kolonie Togo gehörten. Danach endete die deutsche Herrschaft im August 1914 innerhalb von drei Wochen, nicht zuletzt, weil die Afrikaner in Nord- wie in Südtogo die britischen Kolonialtruppen als Befreier begrüßten. Im September 1914 teilte die britische und die französische Siegermacht die ca. 88.000 qkm große Togokolonie (ca. 540 km lang und durchschnittlich 160 km breit) der Länge nach auf in zwei „Besatzungszonen“. Sie verwalteten ihre Besatzungszonen von ihren benachbarten Kolonien, der Goldküste und Dahomey. Zur britischen Zone gehörte übrigens Lomé und Kpalimé, die Grenze zwischen beiden Besatzungszonen verlief westlich des Togosees: die 50 km wurden also in der Mitte geteilt. Sechs Jahre dauerte die britische Kolonialperiode in der Geschichte Togos. Am 1. Oktober 1920 übergaben die Briten den Franzosen Lomé mit offiziellem Fahnenwechsel auf dem deutschen Gouverneurspalast. Denn der Versailler Vertrag von 1919 unterstellte die deutschen Kolonien dem Völkerbund, der sie als Mandatsgebiete von den Kolonialmächten verwalten ließ. Großbritannien erhielt von Togo ein Drittel, Frankreich zwei Drittel. Sicherlich dachten damals Kolonialherren wie die von ihnen beherrschten Togoer, „Mandat“ sei nur ein anderes Wort für Kolonialherrschaft, wie das der französische Altminister Jacques Toubon noch heute denkt. Aber nach dem Ende des zweiten Weltkrieges übernahmen 1945 die Vereinten Nationen die Mandatsgebiete Sie nannten sie nunmehr „Treuhandgebiete“ aber mit dem Ziel, sie in die Eigenstaatlichkeit zu führen. Die Togoer in beiden Mandatsteilen erkannten hier ihre Chance, mit Hilfe dieser internationalen Organisation die Eigenstaatlich-keit zu erreichen. Und letztlich haben sie über die UNO ihr Ziel erreicht. Ohne die Inter-vention der UNO in beiden Treuhandgebieten wäre die Eigenstaatlichkeit nicht so erreicht, wie sie 1957 und 1960 erreicht worden ist. Aber bereits in jenen Jahren zeigte sich die Uneinigkeit der togoischen Politiker in beiden Treuhandgebieten, was sie denn eigentlich in Zukunft anstrebten: Eine Wiedervereinigung Togos in den unsinnigen Grenzen der deutschen Kolonie? Wollten die Ewe im südlichen Togo einen eigenen Staat gründen? Wollten die togoischen Politiker denn überhaupt vollständige Unabhängigkeit oder nur Selbstverwaltung unter der Communeauté français? Angesichts dieser Zerstrittenheit der Politiker traf die UNO unter dem Druck der Ostblockstaaten und der unabhängig gewordenen Kolonien in Asien die einzig richtige Entscheidung: sie wandte sich direkt an die Togoer. Am 9. Mai 1956 votierte die Bevölkerung in Britisch-Togo in einem von der UNO organisierten Referendum mehrheitlich für den Anschluss an das 1957 unabhängig werdende Ghana.

Kein britischer Kolonialbeamter durfte bei der Vorbereitung des Plebiszits mitwirken, kein afrikanische Beamter! Die UNO legte ihre eigenen Wahllisten an und engagierte ihr eigenes afrikanisches Personal. Die Bevölkerung von Britisch Togo erkannte ihre einmalige Chance: Ein Drittel mehr schrieben sich in die Wählerlisten ein und die Wahlbeteiligung betrug 82 Prozent. Solche Ergebnisse waren zuvor und danach nie wieder erreicht. Folglich erreichte ein Drittel der ehemaligen deutschen Kolonie 1957 die Eigenstaatlichkeit und beseitigte eine von europäischen Kolonialisten oktroyierte Grenze.

Auch im französischen Treuhandgebiet Togo strebte in den 1950er Jahren ein Teil der togoischen Politiker eine Vereinigung mit Dahomey (heute Bénin) an. Damit wäre im Zuge der Eigenstaatlichkeit „Togo“ von der Landkarte verschwunden. Aber seit 1884 hatten sich im Süden der Kolonie unter den Ewe neue soziale Gruppen einer bürgerlichen Gesellschaft formiert. Diese traten für ein selbständiges Togo ein. Mit großem Geschick verwirklichte Sylvanus Olympio, der prominente Repräsentant des prowestlich orientierten togoischen Bürgertums, dieses Ziel. Seine Partei konnte 1958 die von der UNO überwachten Wahlen gewinnen. Er übernahm am 27. April 1958 anstelle von Nicolas Grunitzky (afrikanischer Sohn eines deutschen Handelagenten) die Regierung des sich unter französischer Herrschaft selbst verwaltenden Togo. Auf dem Weg zur vollständigen Unabhängigkeit trat Sylvanus Olympio zwar zeitweilig für eine Union mit Ghana unter Kwame Nkrumah ein. Aber er berief sich weiter auf ein selbständiges Togo und sicherte sich den nötigen Rückhalt auch auf inter-nationaler Ebene: Denn auch in anderen Kolonien in Afrika wollten afrikanische Politiker die politische Macht auf der Grundlage der Kolonialgrenzen übernehmen, obwohl sie wußten, daß die neuen Regierungen jetzt alle jene Probleme übernahm, die die willkürlich Grenzenfestlegung europäischen Regierungen verursacht hatten.

Von 1958 bis 1960 erreichte Sylvanus Olympio unter dem neuen Kräfteverhältnis in der Welt die Eigenstaatlichkeit. Aber - analog der Situation von 1884 – nutzte auch er den Spielraum zwischen den „alten“ Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien aus und setzte mit Hilfe der „Newcomer“ (USA und BRD) seine Ziele gegen afrikanische Rivalen durch.

Ein 1960 auf dem Territorium des französischen Treuhandgebiets zu gründender Staat Togo richtete logischerweise den Blick auf die deutsche Herrschaft, die das Territorium „Togo“ geformt hatte, und nicht nur die äußeren Grenzen. Welche koloniale Gesellschaftsstruktur hatte die deutsche Administration geschaffen? Vergeblich sucht man Olympios kritische Analyse. Obwohl die deutsche Administration offiziell die Menschen in Togo nach ihrer Hautfarbe unterteilt und auch die prominente Olympio-Familie diskriminiert hatte, nannte 1960 Sylvanus Olympio das Rassistenregime, die Basis deutscher Herrschaft, nicht beim Namen. Für ihn war mit der Unabhängigkeit die Kolonialära insgesamt abgeschlossen. Er akzeptierte obendrein die glorifizierende Legende von der „Musterkolonie“. Sylvanus Olympio unterschätzte die langfristigen Nachwirkungen der deutschen Ära und wurde 1963 ermordet.

Die deutsche Kolonialadministration fügte in 30 Jahren der traditionellen Bevölkerung neue Bevölkerungsgruppen hinzu Die wichtigste waren die afrikanischen Söldner, die „schwarzen Djamaa “. Sie trugen Befehle des deutschen Bezirksleiters bis ins entlegenste Dorf und kontrollierten deren Ausführung. Der deutsche Maler Ernst Vollbehr hat zu Beginn des Jahres 1914 etwa 150 Gemälde in Togo angefertigt, darunter auch das Porträt eines Sergeanten der „Polizeitruppe“, wie die deutsche Kolonialarmee offiziell genannt wurde. Ich erinnere daran, dass Afrikaner im Apartheid-Regime keine führenden Posten einnehmen durfte, sie durften folglich keine Offiziere werden. Vor seiner Heimreise zeigte Vollbehr im Bezirk Kpalimé, in Ho Schulkindern alle seine Bilder. Als er den afrikanischen Unteroffizier zeigte, riefen alle Kinder wie aus einem Munde „Das ist der Kaiser“. Sie hatten nie den Gouverneur gesehen, selten den Bezirksamtmann. Aber der Söldner kam täglich ins Dorf, holte „im Namen des Kaisers“ Zwangsarbeiter oder die Steuern. Folglich hielten ihn die Schüler für den Kaiser. Auch die von der Kolonialmacht in jedem Dorf eingesetzten Häuptlinge und die von der Administration angestellte Intelligenz, Dolmetscher usw. waren Befehlsausführer und Repräsentanten die Kolonialmacht. Sie waren gleichzeitig die „Ohren der Kolonialherren“. Gewiß, Mißgunst und Denunziantentum gibt es in jeder Gesellschaft, aber nunmehr war dies ein Teil ihrer staatlichen Funktion. Diese drei Gruppen waren einerseits die Stützen der Kolonialmacht, des deutschen Kaiserreichs, Großbritanniens oder der Französische Republik. Andererseits handelten diese Gruppen unter jeder Kolonialmacht stets im eigenen Interesse, sie waren an der Machtausübung beteiligt und sie gewährleisteten die Fremdherrschaft bis in die 1950er Jahre. Danach wechselten sie in einem gewandelten internationalen Kräfte-verhältnis die Seiten. Sie schlossen sich den auch in Togo entstandenen neuen sozialen Kräften einer bürgerlich-togoischen Gesellschaft an, die für die Eigenstaatlichkeit eintraten. Zusammen mit diesen Kräften liessen sie die direkte Kolonialherrschaft zusammenbrechen. Aber selbstverständlich wussten sie, dass sie auch im selbständigen Togo wieder an der Macht beteiligt sein würden.

Zu dem deutschen Kolonialerbe gehört schließlich auch absoluter Gehorsam und Nostalgie. Seit 1884 passte sich die deutsche Verwaltung an der Togoküste den Bedingungen des atlantischen Handels in Westafrika an. Sie konnte deshalb seit Anfang der 1890er Jahre aus den Einnahmen die Ausgaben in der Kolonie erwirtschaften sowie „Ruhe und Ordnung“ aufrechterhalten mit einem Minimum von Beamten, zum Schluß 1914 waren es nur etwa Hundert, die die Herrschaft ausüben. So gewann Togo im Kaiserreich den Ruf der deutschen „Musterkolonie“ - für die Kolonialherren. Vor allem nach dem Verlust Togos 1914 sprach die prokoloniale deutsche und togoische Propaganda von der „Musterkolonie“ für die Kolonisierten, um zu verschweigen, dass in der „Musterkolonie“ die Togoer als Menschen zweiter Klasse diskriminiert waren.

Mit der Eigenstaatlichkeit Togos 1960 begann eine neue, erfolgreiche, nicht-rassistisch geprägte deutsch-togoische Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen. Auch die Bundesregierung leistete umfangreiche finanzielle Hilfe, z.B. war der Bau des Tiefseehafens in Lomé 1967 ein entscheidender Eckpfeiler der Unabhängigkeit. Aber statt sich eindeutig von der kolonialen Nostalgie zu distanzieren, versuchten prominente Politiker aus der BRD sowie aus Togo jahrzehntelang, basierend auf der Legende von der „Musterkolonie“, Togo zur „Modellnation“ für ganz Afrika aufzubauen. Und wie bei der „Musterkolonie“ fragen Togoer: „Modellnation“ für wen? Oder auch – im Zuge der Demokratisierung - „Nation“ für wen?

 Die deutsche Kolonialära von 1884-1914 wird auch weiterhin ein Kapitel in der nationalen Geschichte Togos bleiben auch ohne die Glorifizierung der „Musterkolonie“.

Wahltagsimpressionen aus Lomé – Kodjoviakopé + Wahlergebnisse

Am Wahltag in Togo, Donnerstag, den 4. März, begab ich mich von meinem Appartement in Kodjoviakopé, in unmittelbarer Nähe der Deutschen Botschaft gelegen, um 7.45 zur Bibliothèque Nationale / Archives Nationales du Togo(ANT) in der Avenue Sarakawa. Die Regierung hatte die Schließung sämtlicher öffentlicher Institutionen (also auch des ANT) sowie der Gaststätten an diesem Tage angeordnet. Jedoch hatte ich mit Madame Julia verabredet, wie an jedem Werktag zum Frühstück zu kommen, am 4.3. als ihr Privatgast.

Die Straßen dorthin waren an diesem Tage praktisch vollkommen verkehrsfrei. Auf der neuen, zweispurigen Autobahn [Boulevard de la République] von der Grenze zu Ghana (am Wahltag geschlossen) sah ich kein Auto. Während ich sonst keine halbe Minute auf ein freies Motorrad/ Moped als Taxe warten muß, passierten heute stadteinwärts in 5 Minuten nur zwei besetzte „Motos“. Ich wollte mich mit dem ca 2,5 km langen „Spaziergang“ ins Stadtzentrum beginnen, als - rein zufällig - ein freies Moto aus einer Seitenstraße auf die Hauptstraße einbog. Als das Moto von der Rue Duisburg die ca. 1 km langen Av. Sarakawa erreichte, sah ich in dieser breiten Hauptstraße im administrativen Viertel von Lomé nur ein Auto und ca. 4 Motos. Vor einzelnen Gebäuden waren 2-Mann-Posten in den Uniformen der Gendarmerie/ Polizei stationiert (so auch auf der Straße vor dem Eingang zur Deutschen Botschaft). Aber auch diese Posten fielen nur beim näheren Hinsehen auf. Die an anderen Tagen durch Militärfahrzeuge und zahlreiche Soldaten präsente Armee fehlte an diesem Tag im Stadtzentrum.

Entsprechend der behördlichen Anweisung hatte Madame Julia das Restaurant verschlossen, ich aß meinen täglichen tiefen Teller Papaya auf ihrem Hof im Schatten des großen Mangobaumes. Auf den sich vor dem Restaurant (auf dem ehemaligen Geländes des Bahnhofes) kreuzenden Hauptverkehrsstraßen (u.a. nach Kpalime) zirkulierte zwar der Verkehr, aber vergleichsweise nur zu einem Zehntel. So musste ich auch hier einige Minuten auf ein freies Moto warten. Gegen 9 Uhr kehrte ich in mein Appartement zurück, um daheim zu arbeiten.

Gegen 11.30 Uhr lief ich zu Fuß die ca 500 m bis zum Wahllokal in einer Schule in Kodjoviakopé. Wie von einem Historiker auch nicht anders zu erwarten, muß ich an dieser Stelle Stadtgeschichtliches einfügen.

Das Gebiet des heutigen Stadtteils Kodjoviakopé umfasst ca, einen Quadratkilometer, begrenzt im Westen von der Staatsgrenze zu Ghana, im Süden von Strand bzw. der neuen Autobahn, im Osten vom „Boulevard 13 janvier“ (der deutschen „Ringstraße“) und im Norden von einem anderen ehemaligen Aflao-Dorf Nyekonakpoe.

Der Ausgangspunkt für die Siedlung Kodjoviakopé war der etwa ein Kilometer lange Sandstrand, an dem sich in vorkolonialer Zeit, also vor 1884, aus der Gold Coast Colony zugewanderter Hochseefischer – die noch heute dort mit ihren großen Zugnetzen ihre Schwerarbeit leisten – niedergelassen hatten. Damals gehörte dieser Strand zum Terrain des an der Lagune liegenden Dorfes Aflao (das nach Osten hin an die „Gemarkung“ des Dorfes Bè grenzte). Im Dez. 1879 schloß der britische District Commissioner mit den Chiefs des Dorfes Aflao einen Protektoratsvertrag ab und errichtete den Flaggenmast - wie seit Jahrhunderten bei europäischen Rechtsansprüchen an der westafrikanischen Küste üblich - dort im Zentrum, später auch im Zentrum von Aflao-Beach, des Export-Import-Platzes für den atlantischen Handel am Strand.

Der deutsche Reichskommissar Dr. Nachtigal ließ am 6. Juli durch seinen Begleiter, Dr. Buchner, den ersten Grenzpfahl neben den britischen Flaggenmast am Strand setzen. Er spaltete so nicht nur willkürlich das Ewe-Volk zum ersten Male auf, sondern vom Aflahu-Gebiet Kodjoviakopé ab. Aber mit dem Wechsel zur deutschen Kolonie erhielt das Fischerdorf eine neue Funktion. Denn 1877 hatte der aus der Goldküste stammende Händler Quassi Bruce am Strand von „Lomé“, auch „Bè Beach“ genannt, das erste Haus gebaut. Der neue Handelsplatz Lomé nahm auch infolge der britischen Grenzziehung einen rasanten Aufschwung. Dort schufen sich zugewanderte Afrikaner eine neue, städtisch-bürgerliche Gesellschaftsstruktur ohne einen afrikanischen „Häuptling“. Die in Lomé in der Nähe des „Grand Marché“ ansiedelnde Bevölkerung musste mit allen Lebensmitteln versorgt werden, auch mit Fischen, so dass die Fischer aus Kodjoviakopé in Lomé einen neuen Absatzmarkt fanden. Andererseits ließen sich Lohnarbeiter, die in Lomé angestellt waren, mit ihren Familien in Kodjoviakopé nieder. Mithin erweiterte sich seit 1884 Kodjoviakopé zum ersten Vorort von Lomé. Der Weg zwischen beiden Orten verlief nicht etwa am Strand sondern ca. 400 m im Landesinnern. Die heutige Rue Duisburg von der Av. Sarakawa bis zur Ghanagrenze ist der westliche Teil dieses alten Weges.

1897 verlegte die deutsche Verwaltung die Hauptstadt der Kolonie von Zébé bei Aného nach Lome. Sie kaufte das Gebiet zwischen der „Regierungsstraße“ (östlich des Hotel „Palm Beach“ gelegen) und der „Ringstraße“ („Boulevard 13 janvier“) als „Regierungsviertel“ und errichtete 1898 bis 1905 als neuen Endpunkt von Lomé nach Westen den „Gouverneurs-palast“, heute das älteste Gebäude von Lomé. Aber bei der Straßenplanung im Regierungs-viertel (heute Quartier administratif) mussten die deutschen Beamten den traditionellen Weg der Afrikaner zwischen Kodjoviakopé und Lomé berücksichtigen. 1905 ordnete Gouverneur Zech den Bau einer direkten Verbindungsstraße vom Gouverneurspalast quer durch Regierungsviertel zum neu gebauten Bahnhof an: die heute allgemein bekannte „Avenue Sarakawa“. Von dieser repräsentativen Straße ließen die deutschen Beamten den Weg nach Kodjoviakopé (bei der heutigen Direction de Douane) als die Nebenstraße abzweigen. Heute ist aus der Nebenstraße Rue die Rue Duisburg geworden, in die der Verkehr der Hauptstraße Av. Sarakawa einmündet.

 Als 1905 die deutsche Administration die Bezirke „Lome-Stadt“ und „Lome-Land“ von einander trennte, fügte sie das Gebiet Kodjoviakopé dem Stadtbezirk hinzu, hingegen die Dörfer Bè und Amutive dem Bezirk Lome-Land. Der deutsch-kolonialen Baugenehmigung für Lomé galten allerdings nicht für Kodjoviakopé. Folglich durften hier vor allen ärmere Afrikaner (die sich die teure Wellblechbedachung nicht leisten konnten) ihre traditionellen Lehmhütten Gras decken.

In der französische Kolonialära (1920 bis 1960) wurde das Gebiet von Kodjoviakopé bis zur Grenze der Gold Coast Colony /Ghana fast vollständig besiedelt und die Straßen in diesem Stadtteil schachbrettartig angeordnet:

12 Straßen von Ost nach West parallel zum Boulevard de la République oder zum Strand. Die sechste Straße, die Rue Duisburg, ist die wichtigste im Stadtviertel und als einzige asphaltiert (fast) bis zur Ghanagrenze; an ihr liegt die repräsentative katholische Kirche, das das markanteste Bauwerk in diesem Viertel.

16 Straßen verlaufen von Süd nach Nord, parallel zur Ghana-Grenze und zur Westseite des „Boulevard 13 janvier“. In dieser Straßenrichtung, gibt es nur eine ehemals dominierende, weil asphaltierte Straße entlang der Ghana-Grenze, im heutigen Stadtplan als „Rue Plimaboo“ verzeichnet, aber heute unbekannt (siehe unten) 

Auch im unabhängigen Togo war und ist das Stadtviertel Kodjoviakopé geprägt von der Mischsiedlung von vorwiegend von Wellblech gedeckten kleinen, aneinander gebauten „Häusern“, direkten Slumsiedlungen (mit Strom- und TV- anschluß) und wenigen repräsentativen Villen (ohne große Gärten).Letztere liegen vor allem an den beiden das Stadtviertel begrenzenden asphaltierten Straßen dem Boulevard 13 janvier im Osten und der Strandstraße im Süden.

Das Leben, die Arbeitsbedingungen und schließlich die politische Einstellung der Bevölkerung wird durch die Grenze zu Ghana bestimmt. Einerseits kommt ein täglicher Strom Ewe (vor allem Marktfrauen) aus Ghana, insonderheit aus Aflao, nach Lome. Andererseits besuchen Bewohner vom Kwadjoviakopé die Ghanaseite und dortige Verwandte, so dass der Anteil englischer Sprachkenntnisse unter ihnen in Lome am weitesten verbreitet ist. Die Menschen in Kwadjoviakopé beurteilen zurecht die togoischen Regierungen danach, welche Grenzverhältnisse sie ihnen aufgezwungenen, und zwar nicht nur mit der amtliche Grenzkontrolle sondern auch an der etwa einen Kilometer langen Westgrenze des Stadtbezirks Kodjoviakopé. Hier setzte bereits unter dem Eyadéma eine massive Abschottung in den 1980er Jahren ein. Die Bevölkerung empfand diese besonders als provokativ, weil die Regierung am Grenzübergang nach Ghana Soldaten aus Nordtogo einsetzte, die der Ewe-Bevölkerung offen ihre physische Macht zeigte.

Bis zu Beginn der 1990er Jahre waren die Verhältnisse an der einen Kilometer lange Grenze normal. Von der Hauptstraße am Strand (der neueste Stadtplan läßt die„Rue Plimaboo“, entgegen der Realität dort beginnen!) zweigte eine direkte, asphaltierte Straße entlang der Ghana-Grenze ca 2 km bis zur Lagune. Die Grenzkontrolle der Eyadéma-Regierung verlegte in den 1980 Jahren die Fahrverbindung in die„Rue Plimaboo“ in die nächste Querstraße  vor dem Kontrollgebäude was aber den Zufahrtsverkehr nicht behinderte. Die „Rue Plimaboo“ war trotz der Randlage eine sehr belebte Straße des Stadtteils Kodjoviakopé. On der Ostseite der Straße (mit freiem Blick nach Ghana) war mit einer geschlossene Reihe von Häuser bebaut, die teils auch von Europäern bewohnten waren. Auch als die Regierung Eyadema bis 1990 die Grenze vom Strand bis zur Lagune gegen das völlig unbebaute Gebiet in Ghana durch einen ca 4 m hohen Metallzaun für den Personenverkehr abschloß, verliefen das Leben und der Straßenverkehr hier völlig normal und unbehindert.

Als im Zuge der Demokratisierung 1990 /91 die Übergangsregierung KOFFIGOH im ehemaligen deutschen Gouverneurspalast ihren Amtssitz nahm, verschwand der 4 m hohe Metallzaun. Am 1. Tag nach meiner Ankunft in Togo 1991, am 1. November, suchte ich sofort die nicht mehr existierenden Grenzanlagen westlich von Kwadjoviakopé auf.

Niemand nahm Notiz von mir, als ich auf der freien Fläche einen Freudentanz über die gefallene Grenztrennung aufführte und später vorschlug, Togo und Ghana sollten im Grenzgebiet gemeinsam eine Straße vom Strand in Landesinnere bauen und gemeinsam nutzen. Der Vorschlag wäre auch heute noch eine ideale Lösung des Anschlusses an die Autobahn Aflao – Accra.

Die Realität eines autoritären Regimes erlebte ich am 28. 11.1991 mit meinen ersten Militärputsch in Togo: Die Armee „erstürmte“ mit militärisch unsinnigen Einsatz von Panzern den Gouverneurspalast und entmachtete die Übergangsregierung. Seither ist der Gouverneurspalast bis heute eine Tag und Nacht von 5 Soldaten bewachte Ruine. Togoer sehen darin eine Symbol. Die Bürger von Togo sollen wohl beständig daran erinnert werden, was aus diesem ersten Demokratisierungsversuch geworden ist.

Die von der Westseite auf den Gouverneurspalast in die Luft gefeuerten Mpi-Salven der angreifenden Soldaten, mussten ja irgendwo herunter fallen und sie fielen in den dahinter liegende Stadtteil Kwadjoviakopé. Ein Querschläger traf die Wand meines Nachbarhaus (ich hatte mich rechtzeitig ins Bett gelegt in dem Wissen, daß zwar die meisten Menschen im Bett sterben, aber die wenigsten dort erschossen werden).

Selbstverständlich schuf anschließend auch die Armee ihre Ordnung an der Ghana-Grenze: einem kleinen Zaun folgte ein etwas höherer, auf den die Armee wiederum Stacheldraht und Signalanlagen aufsetzt. Um weiteren Initiativen der Bevölkerung vorzubeugen, verbot die Staatsmacht nicht nur den öffentliche Verkehr auf der „Rue Plimaboo“, die Anwohner aus der gesamte Häuserzeile; die leer stehenden Ruinen, sind jetzt von bewaffneten Einheiten besetztest militärisches Sperrgebiet. Die einst so ansehnliche, belebte „Rue Plimaboo“ ist ein Schandfleck und wird, da in Sichtweite der modernen Autobahn, ihre Wirkung nicht verfehlen.

Muß denn das alles gesagt werden zum Verständnis von Wahlimpressionen in Kwadjoviakopé 2010? Ja, denn es lässt ein wenig verständlich werden, warum die Bevölkerung dieses Viertels kritisch zur Regierung gestanden hat und, verharrt die Regierung auf ihrer bisherigen Politik, auch weiter stehen wird.

 

Viele Straßen in Kodjoviakopé habe ich - teils vor 20 Jahren, teils in den letzten drei Jahren - allein oder mit Sybille durchwandert, denn es gibt beständig auch Neues zu sehen. Gebaut wird wohl in jeder Straße, wenn auch offenbar von vielen Eigentümern manches Mal in einem Tempo, wie das Geld für einen Sack Zement vorhanden ist. Da die Parzellierung der Grundstücke vorangeschritten ist, nimmt ein neu gebautes Haus manchmal fast das ganze Grundfläche des Grundstücks ein; es kann deshalb – wie im Zentrum von Lomé – nur in die Höhe gebaute werden bis zu fünf Stockwerken. Auch des Nachts sind wir, nach einem Essen in „Le Galion“ oder „Golden Beach“ (vormals „Maxim“) zu Fuß nach Hause gegangen – ohne die geringste Befürchtung, denn die professionelle Banditen konzentrieren sich auf die Nähe der Touristenhotels.

Als ich am 4. März gegen Mittag des Wahltages zum Stimmlokal in der Schule wanderte, waren die Straßen - wie an Sonntagen – ziemlich Menschenleer. Es fehlte jedoch der an Sonntagen unüberhörbare Gesang aus Kirchen und zahlreichen kleinen religiösen Gemeinschaften.

Die Schule „C.E.G. Kodjoviakopé“ (collège d’enseignement général) liegt in der „ Rue Homma“. Diese dritte Parallelstraße vom Boulevard 13 Janvier verbindet die Rue Duisburg mit dem Strand verbindet. Die Straße vor der Schule hingegen war im Vergleich zum sonstigen Alltag ungewöhnlich belebt. Sofort hatten dort vor dem Eingang zum Schulhof ein halbes Dutzend Marktfrauen ihre Sonnenschirme aufgestellt und boten Essen und Getränke an. Die Wähler kamen und gingen zu Fuß, manche mit Mototaxis. Einige Autos parkten. Militär bzw. Polizisten waren auf der Straße nicht zu sehen.

Diese Schule ist ein traditionelles Wahllokal dieses Stadtteils[Lomé-Commune 4], in dem wir (zusammen mit Sybille) 1994 die damals ersten Wahlen im Zuge der Demokratisierung erlebten.

[hier das Zitat aus meinem Kalendarium: „6.2. 1994 Wahlsonntag, mehr Ältere. 606 Stimmberechtigte in einer Schule in Kodjoviakope: blau: UTD (Kodjo) 105, rot: CAR 59. weiß RTP 39, gelb PST; ungültige 7. Insgesamt 218 ( CAR=Comité d’Action pour le Renouveau, UTD= Union Togolais pour la Démocratie, UJD=Union pour la Justice et le Développement) -Togo insgesamt von 81 Sitzen im ersten Wahlgang 57 RTP, 19 CAR, 3 UTD, 2 UJD) Togo insgesamt. 1.964.769 inscrit; 1.279.840 votants (65,1 %); 36.664 nul“].

Der ca 40 x 50 m große Schulhof ist nach der Straße hin durch eine massive Mauer abgetrennt. Die beiden Schulgebäude liegen zur linken Seite und als Quergebäude dem Eingang gegenüber. Rechts neben dem Eingang entdeckte ich, aber erst nach einigem Suchen unter einem Schattendach den offenbar diensthabenden Gendarmen, der mehr unbeteiligt dasaß: Alles nahm, offenbar ohne sein Zutun, seinen Gang und er war’s zufrieden.

Statt einem Wahllokal vor 18 Jahren, waren 5 Abstimmlokale in jeweils einem großen Klassenzimmer untergebracht, drei im linken Flügel, zwei im Quergebäude. Vor jedem Lokal stand eine lange Reihe von (gegen 12 Uhr) zwischen 10 und 20 Wählern. Auch hier keine Erregung der Menschen, und in der Tat war alles vorzüglich organisiert. An Hand der eingetragenen Wähler waren etwa 800 Wähler jedem Lokal zugeteilt worden. Große Tafeln mit gedruckten Listen der Namen und Registriernummer der Wähler und ihrem Miniphoto ermöglichtem jeden, sich schnell einen Überblick zu verschaffen, in welche Reihe er sich einzuordnen hatte, vor diesen Tafeln gab es bezeichnender Weise kein Gedränge.

Über dem Eingang zum Klassenzimmer gab es ein optisches Schema für den Wahlvorgang:

In der obersten Reihe wurde gezeigt, wie man den Abdruck des Fingers, nachdem dieser in nicht abwaschbare Tinte (wie vor 18 Jahren) getaucht worden war, in das freie Feld hinter dem Namen des Kandidaten abzudrucken war (welcher Finger zu benutzen war, war nicht vorgegeben). Darunter waren fünf Beispiel angeführt und durch großes Kreuz durchgestrichen, welche Fehler man zu vermeiden hatte. Am Abend sah ich bei dem einen Lokal, daß von 386 abgegeben Stimmen nur zehn ungültig waren.

Den Wahlvorgang organisierten Mitglieder der Nationalen Wahlkommission (ausgewiesen durch beschriftete T-shirts. Sie begleiteten mit Ruhe und Sachkenntnis und ohne Aufdringlichkeit den eintretenden Wähler. Verständlicherweise war mir als Fremden das Betreten des Wahllokals nicht gestattet. Aber das betraf auch alle Afrikaner, die nicht hier abstimmten und die das auch sofort respektierten. Es viel mir auf – im Gegensatz zu meinem Eindruck vor 18 Jahren – daß sich kaum ältere Personen unter den ca hundert Wählern, die ich ihm Hof sah, befanden. - Einige erkannten mich und schlossen aus meiner Anwesenheit, dass ich selbst wählen wollte; auch am Abend traf ich andere Bekannte. 

Die Wahllokale schlossen pünktlich um 18 Uhr. Jetzt übernahmen vor jedem Wahllokal zwei Gendarmen die Absperrung der offenen Tür. Auch sie handelten mit Ruhe und Besonnenheit und keineswegs provokativ, obwohl das Gedränge von 20 bis 50 Personen vor jedem Lokal erheblich war. Da die Außenwände der Klassenzimmer zur Durchlüftung mit handbreiten Schlitzen versehen sind, konnte man vom Hof her nicht nur durch die offene Tür sondern auch durch die Mauer zumindest Teilausschnitte sehen und vor allem die Stimme des Ansagers eines jeden Wahlscheines hören. In jedem Klassenraum hatten ca 15 Beobachter der Parteien Platz genommen. Wie üblich (schon vor 18 Jahren) wurden die Stimmzettel der Wahlurne entnommen, nachdem die Zahl der abgegebenen Stimmzettel und der Wahlberech-tigten bekannt gegeben und an der Wandtafel notiert worden waren. Jeder Stimmzettel wurde in der Runde den Wahlbeobachtern gezeigt, der Name des Gewählten genannt und auch an der Wandtafel hinter dem Namen des Kandidaten optisch notiert in Form eines Quadrates mit der fünften Stimme quer durchgestrichen:

Während im Wahllokal Ruhe herrschte, äußerten indessen die Zuhörer außerhalb lautstark ihre Emotionen, zumindest am Anfang. Doch stellte sich rasch, heraus, daß der Wunsch-kandidat der Mehrheit, Jean-Pierre FABRE (UFC), dreiviertel aller Stimmen und Präsident Faure (RTP) ein Viertel erhalten hatte und das beruhigte das Auditorium. In zwei der fünf Wahllokal lautete das Endergebnis UFC 282, RTP 87 sowie UFC 320, RTP 75 Allerdings wussten alle Beteiligten von den Wählern bis zu den Gendarmen (außer den je zwei, die fünf Eingänge kontrollierten, befanden sich noch zwei weitere Gendarmen auf dem Hof), dass dieses Ergebnis nicht typisch für ganz Togo sein würde. Deshalb nahmen alle die Ergebnisse mit Gelassenheit entgegen. 

Für mich überraschend, hatten alle anderen Kandidaten manchmal keine oder nur ganz wenige Stimmen (unter 10) erhalten. Diese Einmütigkeit für Fabre war nach dem optischen Wahlkampf in Kodjoviakopé keineswegs zu erwarten und ist wohl vor allem durch die Altersgruppe der Wähler zu erklären

Nicht überrascht hat mich die geringe Wahlbeteiligung von teils etwas unter 50 Prozent, teils etwas über 50 Prozent. Hatte ich mit älteren Personen in der Umgebung meiner Wohnung über die bevorstehende Wahlen zu sprechen versucht, so hatten sie mir geantwortet oder bedeutet, dass sie auf Grund ihres Alters und der Erfahrungen in der Vergangenheit den Wahlen keine Bedeutung beimessen. Warum sie sich allerdings in die Wahllisten hatten einschreiben lassen, kann ich nicht beantworten.

Mich interessierte vor allem die Reaktion der am Wahlabend auf dem Hof vorhandenen Wähler. Sie gehörten fast durchweg der Generation der 25-40 jährigen an und verfolgten mit Ernsthaftigkeit den korrekten Ablauf der Wahlprozedur. Viele gebrauchten ihre Mobil-telephone, um andere zu informieren oder sich informieren zu lassen, oder nutzten das Mobil zu photographischen Aufnahmen. Jugendliche, die an einem bloßen Spektakel interessiert (wie sie im Wahlkampf mit Trillerpfeifen und T-shirts ihres Kandidaten auf Motos durch die Straßen gerast waren) sind mir in der Menge auf dem Hof nicht aufgefallen. Ich glaube nicht, dass die Mehrheit dieser Wähler zu Gewalttaten auffordert oder sich auffordern lässt.

Mich erinnert die Situation vielmehr an die Kommunalwahlen in der DDR im Frühjahr 1989, als Menschen der jüngeren Generation die öffentliche Kontrollmöglichkeiten wahrgenommen und damit die obrigkeitlichen Wahlfälschungen durch Feststellung der Tatsachen bloßgestellt hatten. Auch in Togo werden die jüngeren Wähler, die im ganzen Land Wahlkontrollen vorgenommen haben, nunmehr die amtlich veröffentlichten Wahlergebnisse mit den in öffentlicher Auszählung ermittelten vergleichen. Ungeachtet des Resultats der Präsidenten-wahlen (wobei die Propaganda bewusst den Name des Präsidenten, nicht der RTP hervorhob, ihn nur in Zivilkleidung auf Plakaten zeigte und seine Einsetzung 2005 durch einen Militärputsch verschwieg): Bei den nächsten Parlaments- und örtlichen Wahlen wird die korrekte Wahlprozedur von 2010 nicht mehr manipuliert werden können. Der nächste Repräsentant im Stadtteil Kodjoviakopé oder der Oberbürgermeister von Lomé wird kein RTP-Mann sein können.

Mit dieser so wichtigen „Langzeitwirkung“ auf die nächsten in zwei bis drei Jahre anstehenden Wahlen wird das Wahlergebnis in Kodjoviakopé oder in anderen Wahlbezirken nicht einfach ad acta gelegt werden können.

Nachtrag

Die Wahlergebnisse wurden am 9.3. in „Togo- Presse“, die gleichen Ergebnisse in der „unabhängigen“ Presse später veröffentlicht, so in „Nouvel Echo“ vom 12.3.

Von den 36 préfectures entfielen 5 auf Lomé-Commune. Die um 20-30 % geringere Wahlbeteiligung in Süden - das in Kodjoviakopé beobachtete Fernbleiben der Älteren - beeinflußte das Gesamtergebnis in Togo wesentlich

 In Wahllisten Wahl- FABRE, Jean Pierre GNASSINGBE, Faure

 Registrierte / Wähler beteilung Stimmen %  Stimmen % .

Lomé-Com. 1 26.866 14.101 52,94 % 10.819 79,02 % 2.436 17,79 %

Lomé-Com. 2 178.823  101.121 56,55 % 69.398 70,67 % 21.170  21,56 %

Lomé-Com. 3 113.196 66.411 58,67 % 53.286 82,32 % 7.940 12,27 %

Lomé-Com. 4 41.400 23.830 57,56 % 18.700 80,99 % 3.657 15,84 %

Lomé-Com. 5 146.306 88.706 60,63 % 45.663 52,93 % 37.441 43,40 %

Lomé insges* 506.591 294.169 197.866 72.644

Togo insges. 3.227.492 2.119.829 64,68 % 692.584 33,94 %  1.243.044 60,92 %

* in den Zeitungen nicht veröffentlich; deshalb von mir errechnet

Lome-Stadt ist am 29.10.1984 (Dekret Nr.84-186) in fünf Arrondissements aufgeteilt worden, und zwar entsprechend der historisch erfolgten Besiedlung seit 1877 (erstes Haus am Strand). Die Arrondissements sind jedoch nicht - wie in Paris - im Stadtbild von Lomé ausgeschildert worden und deshalb in der Bevölkerung im Allgemeinen unbekannt. Die Menschen kennen hingegen sehr gut die traditionellen Namen der Stadtteile Lomés.

Die Wahlbezirke Lomé-Commune 1-5 beziehen sich auf die (unbekannten) Arrondissements 1-5 [siehe Ankündigung in „Togo- Presse”, 23.02.2010] und nicht (wie auch in deutschen Städten üblich) auf die bekannten traditionellen Namen der Stadtteile. Eine Liste, welche Wohnviertel zu welcher Commune gehören, ist nicht veröffentlich worden.

Das 1. Arrondissement umfasst den alten Stadtkern, der in vorkolonialer Zeit (1877) seinen Ausgangs-punkt hatte und von kolonialdeutscher Stadtplanung geprägt worden ist. So ist das 1. Arrondissement begrenzt durch der heutigen „Boulevard 13 janvier“, der 1905 projektierte „Ringstraße“, vollendet in der französischen Kolonialzeit als „Boulevard Circulaire“. Ausgehend von dem Handelszentrum am Strand und des Grand Marché schlug die deutsche Stadtplanung einen Halbkreis im Radius von ca. 1,5 km Länge Die markantesten Merkmale dieses Viertel sind

1. die Amoutive-Straße (begonnen von Afrikanern seit 1877), sie führt vom Handelszentrum am Strand in nordöstlicher Richtung zum Dorf Amoutivé und mündet heute in die Staatsstraße Nr. 1;

2. die Kpalime-Straße (begonnen von Haussa-Fernhändlern seit 1880) vom Handelszentrum am Strand in nordwestliche Richtung;

3. die von der deutschen Administration seit 1890 geschaffene „Mittelstraße“ [heute Av. de la Libération] , in der Mitte zwischen den beiden vorgenannten Straße vom Strand direkt nach Norden führend und zwar über die Lagune hinaus;

4. das deutsche „Regierungsviertel“ (1897-1914) nimmt das gesamte westliche Drittel des 1. Arrondissements ein. Das heutige „Quartier administratif“ ist immer noch als Wohngebiet sehr dünn besiedelt.

Zwei weitere Arrondissements grenzen an das 1. Arrondissement

Das 4. Arrondissement liegt westlich und nördliche des Boulevards. Es umfasst die Stadtviertel Kodjoviakopé und Nyekonakoe, die wiederum im Westen an der Ghanagrenze enden. Die Nordgrenze des 4. Arr. bildet eine von Westen nach Osten gezogene ideale Linie in der Mitte der Lagune. Östlich an Nyekonakoe grenzen die Stadtteile Octaviano Netime [nach Octaviano Olympio, 1859-1941] und Hanukopé Die Ostgrenze von Hanukopé und damit des 4. Arrondissement bildet die [siehe 1. Arr.] der Boulevard de la Libération (vormals „Mittelstraße“). Das 4. Arrondissement ist wie das 1. Arrondissement vollkommen besiedelt und in seinen äußeren Grenzen feststehend.

Das 3. Arrondissement liegt östlich und nördlich des Boulevards. Es wird im Norden begrenzt durch die schon genannte ideale West-Ost-Linie in der Mitte der Lagune Hier liegt am südlichen Ufer der Lagune das älteste Dorf von Lomé: Bè [Versteck]. Nachdem bei Bè die [Volta-}Lagune aufhört, wird die nördliche Grenzlinie in gerader Strecke nach Osten weitergeführt. Das 3. Arrondissement reicht mithin bis zum östlichen Ende des eingemeindeten Baguida. Erst östlich der Stadtgrenze von Lome-Bagida beginnt mit dem Lac Togo ein neues Lagunensystem, das in den Mono mündet.

 

Zwei Arrondissements (Nr. 2 u. 5) liegen auf dem Plateau nördlich der gedachten Lagunen-linie. Sie werden voneinander durch die Staatsstraße Nr. 1 [Boulevard Gnassingbé Eyadéma] getrennt

Das 5. Arrondissement reicht westlich bis an die Ghanagrenze [1890 ! von der Kaiserlich deutschen und der britischen Regierung vereinbart]. Die Straße nach Kpalime [Av de la Victoire, Av. de R.T.P., Av.du 30 Août] ist die wichtigste und bestimmt die weitere Ausdehnung von Lomé. An der gesamten Nordgrenze des 5. Arr. wird neu gesiedelt.  Auch die Staatsstraße Nr. 1 wird nach Norden hin nicht mehr als Abgrenzung der Arrondissements 2 und 5 genommen werden können. Agoényivé dadurch in Süd-Nord-Richtung zu teilen wäre widersinnig.

Das Arrondissement 2. wird im Norden zwischen der Staatsstrasse Nr. 1 und der Av. Jean Paul II durch den Komplex der neuen Regierungssitzes „Lome 2“ bestimmt. Auch der Aeroport liegt im im Nordosten des Arrondissement 2 ab, aber östlich des Aeroport setzt sich die Siedlung nach Osten bis nach Bagida fortsetzt und Arr.2 grenzt direkt an Arr. 3, ja hier keine trennende Lagune vorhanden ist.

Logisch wäre eine Nummerierung der Arrondissements und damit der Lomé-Commune nach der geographischen Lage gewesen: 1, 2, 3 südlich der Lagune, 4 und 5. Bei der Schaffung der Arrondissements 1984 wurde aus politischen Gründen jedoch das neue Regierungsviertel „Lomé II“ als Arrondissement 2 genommen. Aber nicht in Lomé-Commune 2 erzielte der Präsident seinen höchsten prozentualen Anteil ab Wählerstimmen. 

Die Mehrheit der Bevölkerung würde es wohl begrüssen, wenn bei künftigen Wahlen für die fünf Arrondissements bzw. Lomé-Communes die Namen der zugeordneten traditionellen Stadtteile veröffentlicht werden

 

 

 

Auf diesen Seiten möchten wir Euch die politische Lage Togos näher bringen. Aktuelle Pressemitteilungen, Internetrecherchen oder Informationen anderer Quellen werden hier ganz oder auszugsweise gezeigt.

1) Karin von Loebenstein erhält das Bundesverdienstkreuz am Bande

2) Eckart Wagner ist tot.

Ein ehemaliger Togo EH, Eckart Wagner, ist am 26.Januar 2008 in Berlin gestorben. Eckart Wagner hat Mitte der achtziger Jahre in Lome für den DED als Vermessungsingenieur gearbeitet. Zuvor war er in Kamerun, danach noch in Tansania ( auf Sansibar ). Eckehard Mewes kennt ihn und sicher einige andere auch noch. Eckart wäre in wenigen Tagen 60 Jahre alt geworden.

Nachruf unter: http://www.tagesspiegel.de/berlin/Nachrufe;art127,2536083

3. Bericht vom BA Rudi Schwarzwälder zur Situation in Togo in der Zeit um 1993

4. Erinnerungen von Willi Reese - 1995