Afrika – Afrika
von Winfried Reese
Das Wort „Afrika“ – das ist das Synonym für Schreckensnachrichten, für Katastrophen, für Hunger und Leiden und Armut, für Diktatur und Machtmissbrauch, für Korruption und Misswirtschaft und
viele andere Negativbegriffe unseres Wortschatzes.
Das Wort „Afrika“ - das heißt aber auch Menschen. Hinter jedem dieser oben genannten Begriffe stehen Menschen. Nicht immer gute Menschen, soweit es einige der Negativbegriffe betrifft, aber Afrika ist groß und Afrika hat viele Menschen und die meisten von ihnen sind liebenswürdige und freundliche Mitbewohner auf diesem Planeten. Und von diesen Menschen will ich euch hier nun einige kleine Geschichten erzählen. Die meisten dieser Geschichten sind eigene Erlebnisse, einige andere beruhen auf Erzählungen von Freunden und Bekannten. Und die Zeit, in der diese Geschichten passiert sind, waren die Jahre zwischen 1980 und 1996 .
Der Wachhund.
Niamey in Niger ist eine große Stadt am Rande der Wüste und hatte zu der damaligen Zeit rund
350 000 Einwohner, von denen die meisten in Häusern wohnten, die aus Banko oder einfachen Betonsteinen gebaut sind. Durch die Stadt gehen nur einige größere Straßen, in den Wohnquartieren sind nur unbefestige Wege die Verbindungen zwischen den einzelnen Stadtteilen. Aber an den Rändern der Stadt gab es einige Stellen, an denen auch Häuser besserer Qualität standen, die dann meistens von den nigrischen oberen Gesellschaftsschichten bewohnt wurden oder von ausländi-schen Experten oder Geschäftsleuten und manche auch von Entwicklungshelfern.
Als ich nach Niamey einreiste, war für mich von dem dortigen Büro des Deutschen Entwicklungs-dienstes ein Haus mitten in der Stadt in einem dieser Banko-Quartiere angemietet worden, weil in den Randgebieten kein freies Haus in besserer Qualität zu finden gewesen war und man war etwas besorgt darüber, ob ich dort überhaupt wohnen wollte. Ich hatte da aber keinerlei derartige Sorgen und habe mich dort auch sehr wohl gefühlt.
Die Sorgen, von denen hier die Rede ist, sind Diebstähle und Einbrüche, die aber vorwiegend in den wohlhabenden Randgebieten stattfinden, weil da eben auch was zu holen ist. Aber da mein Haus nur von einer Seite zugänglich war, hatte ich diese Sorgen überhaupt nicht.
Anders aber die Leute in unserem DED-Büro: Einige Tage nach meinem Einzug bekam ich die Nachricht, dass man einen Wachhund für mich hätte und auch schon in meinem kleinen Vorgarten
ausgesetzt habe. Und so fand ich denn am Abend, als ich nach Hause kam, einen in Niger häufig anzutreffenden windhundartigen „Wachhund“ vor, der sich ängstlich in die hinterste Ecke meines kleinen Vorgartens von rund 10 x 10 Metern verkroch. Sein Zustand war erbärmlich: stumpfes graues Fell, wo eigentlich leicht glänzendes schwarzes Haar hätte sein sollen und dabei auch noch voller Zecken und anderem Ungeziefer.
Es hat drei Wochen gedauert, bis er sich an mich gewöhnt hatte, bis ich ihn berühren konnte, ihn baden konnte, die Medizin gegen das ganze Ungeziefer an seinem Körper zu wirken begann und sein Fell auch wieder glatt und schwarz wurde und er endlich wieder das Aussehen eines richtigen Hundes bekam.
Aber mit der Veränderung seiner äußeren Erscheinung änderte sich auch sein Verhalten. Hielt er sich vorher scheu im Hintergrund, so blieb er nun immer in meiner Nähe, wohin ich auch ging.
Saß ich auf der Terrasse, lag er neben dem Sessel, war ich im Haus, so saß er solange vor der Aussentür, bis ich wieder heraus kam, ging ich zum Bäcker oder einem der Händler in der Straße,
lief er direkt hinter mir wie mein Schatten. Das hatte zwar den Effekt, dass nun alle meine Nachbarn im Quartier wußten, dass ich einen „Wachhund“ hatte und ich somit immer weniger zu befürchten hatte, dass mal jemand auf krumme Gedanken kommen könnte, aber manchmal war das auch schon richtig lästig.
Doch bevor ich noch richtig stolz werden konnte, dass ich aus einem Haufen Elend wieder einen Hund gemacht hatte, veränderte sich die Situation wieder: ich hatte des abends nach Feierabend
die Erde um die einzige Bananenstaude, die in meinem Garten stand, ein bisschen aufgelockert und auch ausreichend gewässert, weil ich ja auch irgendwann mal eigene Bananen ernten wollte. Als ich jedoch am anderen Morgen aus dem Haus trat, konnte ich kaum glauben, was ich da zu sehen bekam: meine schöne Bananenstaude lag zerfetzt und über den ganzen Garten zerstreut da, selbst der Stamm war nur noch ein Haufen pflanzliche Fasern, der nur entfernt an meine Banane erinnerte.
Und mein „Wachhund“ lag in seiner Ecke und schlief.
Zwei Tage später das nächste Ereignis: ich hatte meine Wäsche gewaschen und auf meine Wäscheleine im Garten gehängt, so konnte sie über nacht trocknen. Doch am nächsten Morgen wieder der gleiche Anblick wie bei meiner Banane: meine ganze Wäsche lag über und über verdreckt und durchgekaut im ganzen Garten verstreut. Und mein „Wachhund“ lag in seiner Ecke und schlief.
Und von nun an konnte ich jeden Tag irgendwelche Dinge finden, die ich irgendwann einmal in der Hand gehabt hatte und die von meinem „Wachhund“ dann entsprechend behandelt worden waren.
So konnte das nicht weitergehen, zumal mein „Wachhund“ gegen Vorhaltungen absolut resistent war, na ja, vielleicht verstand er ja auch nur die einheimischen Sprachen, jedenfalls reagierte er nicht auf die deutsche Sprache. Um weiteren Schaden abzuwenden, bat ich also die Verantwortlichen beim DED, den Hund wieder abzuholen und möglicherweise dem Vorbesitzer zurück zu geben. Doch man wollte dort nicht auf mich hören. Das wird sich schon legen mit der Zeit, sagte man dort. Ich müsse nur ein bisschen Geduld mit dem Hund haben, dann würde schon alles gut werden.
Eine Lösung des Problems bahnte sich dann in der darauf folgenden Woche an: Als ich des morgens zur Arbeit fahren wollte mit dem vom DED gestelltem Dienstmoped hatte sich dieses in der Nacht von einem einsatzbereiten Vehikel in ein trauriges kaputtes Wrack verwandelt: mein „Wachhund“ hatte sich zwecks Ermangelung anderer Sachen nun ausgiebig mit dem DED-Dienstfahrzeug beschäftigt. Die beiden Reifen waren platt, etliche Bisslöcher legten Zeugnis ab für die Bisskraft meines Hundes, die Gummipedale waren abgekaut und es lag auf der Seite und der Kraftstoff war ausgelaufen. Ich informierte also den DED, dass ich Gelder für die Reparatur beantragen müsse und dass ich das in der Zukunft wohl noch öfter werde tun müssen und dass das nicht daran liege, dass mein Hund etwa aus Hunger so etwas mache, sondern dass da wohl eine fehlgeleitete Eifersucht diese Zerstörungswut bei meinem „Wachhund“ auslöse.
Als ich des abends nach Hause kam, war kein Hund mehr da. Und auch in der Zukunft wäre eine Anwesenheit eines „Wachhundes“ nicht nötig gewesen, es ist in den 4 Jahren meiner Anwesenheit in Niamey nie versucht worden, bei mir etwas zu klauen oder gar einzubrechen.
Der Ziegenschädel.
Es gibt noch eine andere kleine Geschichte, die auch das Thema Diebstahl betrifft. Ein anderer Entwicklungshelfer, der weiter im Norden von Niger beschäftigt war, brachte mir eines Tages einen
der mit bunten Plastikfäden drapierten Ziegenschädel mit, die die dortigen Tuaregs den durchreisenden Touristen als Souvenirs verkaufen einschließlich des Versprechens, dass diese Schädel auch vor Unheil schützen, insbesondere vor Raub und Diebstahl. Nun sind wir Europäer ja vielleicht schon aufgeklärt genug, um nicht mehr an solche spirituellen Eigenschaften von toten Dingen zu glauben, einige Afrikaner mögen indessen noch einfältig und naiv genug sein, um solchen Hokus-Pokus zu glauben. Mein DED-Kollege jedenfalls glaubte nicht mehr an so etwas, hatte dem Tuareg aber aus mildtätigen und auf Hilfe basierenden Gründen solch einen Ziegenkopf abgekauft und brachte den nun eines Tages mit zu mir nach Niamey. Er meinte, als Dekoration für meine kleine Terrasse sei das Ding doch zu gebrauchen und so hing dieser Schädel dann an einem Nagel an der Wand neben meiner Haustür.
Wenn ich zu Hause war, waren auch immer einige der Kinder aus der Nachbarschaft bei mir auf der Terrasse und im Garten, in der ersten Zeit wohl nur aus Neugier, aber später dann auch, weil in meinem kleinen Garten ein Wasseranschluss war, der so herrliche Spiele erlaubte, für die es bei ihnen zu Hause keine Möglichkeiten gab, denn dort mussten sie das Wasser in Eimern von der nächsten öffentlichen Zapfstelle holen, was automatisch zu sehr sparsamen Verbrauch verleitete.
Als nun der Ziegenschädel mit den bunten Bändern dort an der Wand hing, kam natürlich sofort von den Kindern die Frage, was das sei und was das solle. Und da habe ich ihnen denn erzählt, dass das ein sehr starkes „Gri-gri“ sei und dass dieses „Gri-gri“ vor bösen Menschen wie Dieben und Räubern schütze und vor vielen anderen möglichen Ungemach auch. Aber ich habe ihnen auch gesagt, dass das natürlich ein Geheimnis sei und dass sie das niemandem verraten dürften.
Da nichts so schnell bekannt wird wie ein Geheimnis, wusste also die ganze Nachbarschaft, dass der „Anasara“ sein Haus mit einem bösen Zauber abgesichert hat. Ob mein Zauber gewirkt hat, weiß ich natürlich nicht, aber, wie schon oben gesagt, in den ganzen vier Jahren dort ist nie etwas bei mir weggekommen.
Das Thermometer.
Niger ist ein heißes Land. Die durchschnittlichen Tagestemperaturen liegen zwischen 28° und 42 °.
Da ist es natürlich obligatorisch, auch ein Thermometer an einer gut ausgewählten Stelle anzubringen, um immer über die gegenwärtige Hitzebelastung informiert zu sein. Mein Thermo-meter hing gleich neben der Haustür unter dem Sonnendach, wo es vor direkter Sonneneinstrah-lung geschützt war, aber bei jeder Benutzung der Haustür im Blickfeld war.
Eines Tages bekam ich Post von zu Hause und in dem Brief war auch eine Seite aus der heimatlichen Tageszeitung, in der über den heftigen Winter in Deutschland berichtet wurde und dabei war auch ein Bild der zugefrorenen Alster in Hamburg mit den Menschen, die auf dem Eis spazieren gingen.
Als des abends die Kinder aus der Nachbarschaft dann wieder bei mir waren, habe ich ihnen dieses Bild von der vereisten Alster gezeigt und um ihnen eine Anschauung von der Kälte geben zu können, habe ich ihnen gesagt, dass es in Deutschland so kalt sei wie in dem Eisfach des Kühlschranks bei mir in der Küche. Ich habe ihnen dann auch noch erzählt, dass es schon seit einigen Wochen in Deutschland so kalt sei mit Temperaturen die zum Teil noch niedriger gewesen seien, wie die 8 Grad minus in dem Kühlfach in meinem Kühlschrank. Die einhellige Meinung der Kinder war, dass es so kalt gar nicht werden könne und dass man bei solchen Temperaturen nicht überleben könne.
Als ich am nächsten Abend nach Hause kam und beim Aufschließen der Haustür gewohnheitsmäßig einen Blick auf das Thermometer werfen wollte, war es nicht mehr da. Mein erster Gedanke war, dass mein Ziegenkopf-Gri-gri wohl doch nicht über die nötige Abschreckungskraft verfügt, die ich ihm selbst zugesprochen hatte. Doch da stürmten schon meine Nachbarskinder durchs Tor und rannten direkt an mir vorbei in die Küche, öffneten das Gefrierfach meines Kühlschranks und holten das Thermometer heraus und reichten es staunend in die Runde: Es zeigte genau 8 Grad minus an!
Beim Zoll.
Al Hadji Yacoubou N. hatte schon eine etwas größere Tischlerei in Niamey. Er beschäftigte rund 40 Leute und hatte auch schon diverse Maschinen zur Verfügung. Er gehörte zu den „Kunden“, die ich regelmäßig zu besuchen und zu beraten hatte.
Schon bei meinem zweiten Besuch bei ihm hatte er ein besonderes Anliegen. Er hatte in Lome in Togo eine Maschine gekauft und der Staat Niger wollte nun von ihm einen Einfuhrzoll und Al Hadji war damit ganz und gar nicht einverstanden. Und er hatte ja auch wirklich gute Gründe anzuführen gegen einen solchen Zoll, denn schließlich schafft er ja mit dem Einsatz der Maschine auch Arbeitsplätze und dafür bekommt der Staat dann Lohnsteuer und von ihm selbst ja auch Einkommensteuer. Er mochte aber nicht so gern selber zum Zoll gehen, weil er meinte, wenn ich als Weißer das machen würde, würden die Zollbeamter vielleicht zugänglicher sein gegenüber einem solchen Anliegen und vor allen Dingen hatte er Angst davor, dass man ihn womöglich über seine
„wirklichen“ Vermögensverhältnisse befragen könnte, was dann möglicherweise Auswirkungen auf seine nächsten Steuerbescheide haben könnte. Und so drückte er mir seinen Ordner mit den bis
dahin angehäuften Papieren wie Kaufvertrag, Rechnungen für die Maschine und den Transport und dergleichen in die Hand und wünschte mir viel Glück.
Nun war ich zu der Zeit noch ein ziemlich ungeübter Sprachanfänger in der französischen Sprache, die die Amtssprache in Niger ist. Ich habe mich also erst einmal per Dictionaire mit den gängigen Begriffen des Steuer- und Zollgeschehens vertraut gemacht, ehe ich dann zum Zollamt marschiert bin.
Dort angekommen, wurde ich zunächst von einem Zimmer zum nächsten geschickt, ehe ich dann im vierten oder fünften Raum beim richtigen zuständigen Sachbearbeiter gelandet war, wo ich dann mein Anliegen vortragen konnte und auch die Fragen so einigermaßen korrekt beantworten konnte. Es wurde mir versichert, dass man mit der nötigen Sorgfalt den Antrag prüfen werde, was aber wohl zwei bis drei Wochen dauern würde und dass ich doch dann gelegentlich vorbeischauen möge, um mich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen.
Nach drei Wochen bekam ich noch keinen Bescheid, nach vier Wochen auch noch nicht, aber in der fünften Woche sagte mir der mit der Sache beschäftigte Sachbearbeiter, man habe nun eine Entscheidung getroffen und ich solle bitte in das letzte Zimmer hinten am Gang gehen, denn dort sei der Chef und bei dem läge nun das Ersuchen.
Der Chef war ein noch verhältmäßig junger Beamter in einer Uniform, die schon mit einigen Merkmalen seiner gehobenen Stellung dekoriert war. Er empfing mich sehr freundlich und nachdem ich ihm erklärt hatte, weshalb ich nun zu ihm gekommen sei, erklärte er mir, dass man das Dossier sehr sorgfältig geprüft habe und beschlossen habe, auf die Erhebung eines Einfuhrzolls zu verzichten, denn die Entwicklung des Landes sei schließlich wichtig und im Interesse aller Bürger und man danke Al Hadji für sein Engagement und hoffe aber auch auf die entsprechenden Gegenleistungen in Form von künftig fließenden Einkommensteuern und damit überreichte er mir dann die Akte mit den Papieren.
Ich habe mich herzlich bei ihm bedankt und habe ihm die Hand gereicht, um mich zu verabschieden, als er in perfektem Deutsch sagte, er wünsche mir in seinem Land in der Zukunft viel Erfolg bei meiner Arbeit und wünschte auch sonst alles Gute. Und als er mein verdutztes Gesicht sah, lächelte er und sagte, er habe seine Ausbildung in Deutschland gemacht und, wie um mich zu trösten, am Anfang auch seine Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache gehabt.
Brauereien in Niger.
Wir waren in offizieller Mission in Maradi, einer Stadt weiter im Osten Nigers, nahe der Grenze zu Nigeria. Unser Beauftragter hatte dort auch eine Unterredung mit dem Präfekten von Maradi und in der Folge dessen kam es zu einer Einladung zu einem Mittagessen für unsere gesamte Gruppe bei ihm.
Der Raum, in dem wir uns dann einfanden, hatte sehr große Fenster zur Straßenseite hin und man konnte auf der gegenüber liegenden Seite der Straße die Brauerei sehen, ebenfalls mit einer sehr großen Fensterfront, hinter deren glitzernden Scheiben die kupfernen Braukessel zu sehen waren.
Als wir alle unsere Plätze eingenommen hatten, wurde uns Deutschen jeweils 2 Flaschen des nigrischen Bieres serviert, den anwesenden Nigrern jedoch nur Wasser oder diverse Limonaden,
und auf unsere etwas erstaunten Fragen, wieso denn nur wir Bier angeboten bekämen, antwortete er, dass seine Landsleute, ebenso wie er selbst, ja alle überzeugte Moslems seien und daher auch kein Alkohol genießen würden, denn der Prophet habe das ja verboten. Da er aber wisse, dass die Deutschen gerne Bier trinken und ja auch für ihre hohe Qualität bei der Bierherstellung bekannt seien, habe er extra für uns dieses Bier besorgt. Unser Einwand, dass das ja wohl nicht schwierig hat sein können, wenn man eine Brauerei direkt vor der eigenen Haustür habe in der doch sicherlich auch Bier hergestellt würde, denn was anderes könne man ja mit den großen kupfernen Kesseln, die man ja selbst von hier aus sehen könne, wohl nicht machen, wischte er mit einer Handbewegung zur Seite: Ach, meinte er nur, dort drüben in der Brauerei würden nur die verschiedenen Limonaden abgefüllt, die Braukessel seien nur zur Dekoration, denn die Nigrer nähmen die Gebote des Propheten sehr ernst.
Ja, sie nahmen die Gebote des Propheten wirklich so ernst, dass sie selbst einen deutschen Braumeister dort engagiert hatten.
Wohnungsnot.
Auch Al Hadji Djibo hatte eine kleine Tischlerei. Unter einem nach allen Seiten offenem Hangar hatte er eine Maschine stehen, die in mehreren Funktionen zu nutzen war wie hobeln, sägen, abrichten und bohren und rund herum vier Arbeitstische, an denen jeweils zwei Tischler arbeiten konnten, auf jeder Seite des Tisches jeweils einer. Abseits in einer Ecke stand noch ein anderer Tisch, der aber nicht zum arbeiten genutzt wurde, sondern auf dem alle möglichen Sachen einfach nur abgelegt oder „entsorgt“ wurden und der zu den dem Raum zugewandten Seiten durch Sperrholzreste und Pappen und anderen Dingen zugestellt war.
Eines Tages, als ich mal wieder bei ihm in der Werkstatt war und sah, dass an dem einen der Arbeitstische sogar drei Leute arbeiten mussten, habe ich dann dem Tischler, der so eine Art Vorarbeiterrolle hatte bzw. Sprecher der Gruppe war, Vorhaltungen gemacht, dass man doch so nicht vernünftig arbeiten könne und dass doch da in der Ecke noch ein Tisch zur Verfügung stehe und dass man den ganzen Krempel dort mal ein bisschen zur Seite schaffen solle, um so auch diesen Platz zum arbeiten nutzen zu können und außerdem sei auch ein bisschen Ordnung gut für die Sicherheit am Arbeitsplatz. Ich sah, dass er mir antworten wollte, doch dann wandte er sich ohne ein Wort zu sagen ab und begann, mit dem Lehrling den Tisch frei zu machen und so konnte nun auch dieser Platz zum arbeiten genutzt werden.
In der nächsten Woche, als ich wieder einmal bei Al Hadji Djibo vorbeischaute, war der Tisch wieder an seinem alten Platz in der Ecke der Werkstatt und war wieder mit allen möglichen Dingen zugestellt, so als wenn es nie anders gewesen wäre.
Ich war zuerst ein bisschen verdutzt, aber dann kam auch ein Gefühl des Unmuts, denn wenn man meine Ratschläge nicht annehmen will, brauch ich ja auch nicht mehr herzukommen, war mein Gedanke und mit diesem leichten Groll ging ich nun zu dem Vorarbeiter, um ihn wegen dieses Vorfalls zur Rede zustellen. Doch der hatte wohl schon an meinem Gesichtsausdruck gesehen, dass er mir nun etwas erklären musste und kam mir schon entgegen. „Komm mal mit raus, Patron, ich muss Dir mal was erzählen,“ meinte er nur und ging mir voraus nach draußen auf die Straße, wo er sich im Schatten eines Baumes auf die Reste einer Mauer setzte und mich aufforderte, auch Platz zu nehmen. Und dann erzählte er mir, dass der Appranti, der Lehrling, keine Eltern mehr habe und somit auch kein Zuhaus und dass der Chef, Al Hadji, ihm deswegen erlaubt habe, dort in der Werkstatt zu leben und so sei der Arbeitstisch dort hinten in der Ecke praktisch das Zimmer von diesem Lehrling. Dort unter dem Tisch habe der seine wenige Habe und seine Schlafstelle. Und er, als der Boss in der Werkstatt, habe nicht den Mut gehabt, mir in der vorigen Woche zu widersprechen, denn er wüsste ja, dass die Weißen doch viel besser ausgebildet seien und man ihnen schon deswegen nicht widersprechen könne. Aber dass der Lehrling dadurch dann keine Stelle mehr zum Schlafen habe, hätte ich ja nicht wissen können und so hätten sie das alles wieder
zurück gestellt. Ich solle deswegen nicht böse sein, denn es wäre ja kein Affront gegen mich gewesen, denn sie hätten nur Mitleid mit dem Lehrling gehabt.
Ja, so kann es einem gehen, wenn man aus einem reichen „Erste Welt Land“ kommt und von solchen Zuständen keine Ahnung hat.
Ich habe mich bei ihm und auch bei dem Apprenti entschuldigt und ihnen gesagt, dass die Weißen keine Götter seien und man ihnen auch ruhig einmal widersprechen darf, wenn sie so einen unbedachten Unfug machen, wie ich es getan habe. Schließlich hätte ja auch ich vorher einmal fragen können, warum der Tisch in der Ecke nicht benutzt wird.
Ich habe die Wohnung des Jungen seither nicht mehr zerstört.
Die Angst vor dem „Weißen Mann“.
In Niamey, der Haupstadt des Landes Niger, gibt es auch ein Kulturzentrum, das „Centre culturel- Oumarou Ganda“ mit einer großen Freilichtbühne als Mittelpunkt. Oumarou Ganda war Produzent,
Regisseur und Schauspieler des nigrischen Filmschaffens und hat mehrere internationale Preise bekommen für seine Arbeit. Und die Stadt Niamey hat ihm zu Ehren dieses Kulturzentrum nach ihm benannt.
In diesem Kulturzentrum finden sehr viele Veanstaltungen statt. Und sie sind auch immer sehr gut besucht. Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung sind bei den Veranstaltungen anzutreffen und nicht selten sind ganze Familien selbst mit ihren Kindern anwesend.
Eines abends, als wir wieder einmal dort waren, saß eine junge Mutter mit einem Kleinkind zwei Reihen vor uns und hatte ihre liebe Mühe mit ihrem Sprößling, der unentwegt in Bewegung war und mit ziemlich lauten Unmutsäußerungen nicht nur die Mutter störte, sondern auch die Nachbarn rund herum. Und schließlich, nachdem sie entschuldigend ein paar mal ihre Nachbarn und auch uns angeblickt hatte, drohte sie ihrem aufmüpfigen Kleinen mit dem erhobenem Zeigefinger und sagte so laut, das selbst wir das hinter ihr hören konnten. „Wenn du jetzt nicht ein bisschen ruhig bist, dann hole ich den „Weißen Mann“! wobei sie mit der Hand nach hinten wies in unsere Richtung.
Wir mussten darüber herzlich lachen und auch die anderen Zuschauer rund um uns herum kommentierten dies mit Heiterkeit.
Als die Veranstaltung zu Ende war und die Leute dem Ausgang zustrebten, drängte sie sich an uns heran und bat um Entschuldigung, sie habe uns nicht damit kränken wollen, aber seit eh und je sei das so üblich, mit dem „Weißen Mann“ die Kinder zur Raison zu bringen. Als wir ihr erklärten, dass bei uns das Gleiche üblich sei, nur dass es bei uns eben der „Schwarze Mann“ sei, da musste auch sie lachen und war sichtlich erleichtert. Dass bei uns der „Schwarze Mann“ allerdings der Schornsteinfeger ist, haben wir ihr nicht erzählt, weil die Häuser in Afrika ja keine Schornsteine haben und der Beruf des Schornsteinfegers unbekannt ist.
Der Sportplatz in Dosso.
Dosso ist eine kleine Stadt südöstlich von Niamey mit damals rund 30 000 Einwohnern. Und, obwohl die Menschen in Niger zu fast 95 % der islamischen Religion angehören, hat diese kleine Stadt im Gegensatz zu den orthodoxen islamischen Staaten wie in den arabischen Ländern und Asiens ein Mädchengymnasium mit einem für damalige Zeiten modernem Lehrprogramm. Selbst Sportunterricht stand auf dem Stundenplan. Und für diesen Sportunterricht war vom Deutschen Entwicklungsdienst ein junger deutscher Sportlehrer dorthin entsandt worden.
Das Grundstück des Gymnasiums lag auf einem leicht ansteigenden Gelände am Rande der Stadt, was für die Ausübung von leichtathletischen Sportarten neben den anderen Schwierigkeiten, die aus den religiösen Vorschriften entstanden, dass die Mädchen sich züchtig zu verhüllen haben und die knöchellangen Panjes zu tragen haben, nicht gerade förderlich. Besonders bei Ballsportarten können abfallende Sportplätze leicht zu Ergebnissen führen, die nicht dem normalen Spielverlauf entsprechen.
Um diesem Missstand nun abzuhelfen, hatte unser Entwicklungshelfer die Idee, dieses Terrain mit Hilfe der Schülerinnen zu planieren und einzuebnen. Auf dem oberen Ende beginnend, wollten sie die Erde abtragen und das untere Ende des Platzes damit auffüllen. Und damit das alles gut und richtig werden sollte, wollten sie das alles noch vor der Regenzeit und vor den großen Ferien machen, damit sich das Ganze gut ablagern konnte und man hoffte auch auf ergiebigen Regen, der helfen sollte, die aufgetragene Erde zu festigen, damit nach den Ferien dann ein bespielbares Gelände zur Verfügung stände. Gesagt – getan: Mit viel Elan und Begeisterung wurde in den letzten zwei Wochen vor den Ferien Erde geschaufelt, gehackt und gekarrt und am Ende war die Arbeit getan und die Ferien und der Regen konnten kommen. Und für soviel Arbeit gab es dann auch noch eine kleine Fete zum Abschied. Die Mädchen gingen zu ihren Familien und der Entwicklungshelfer machte seinen Urlaub in Deutschland.
Sechs Wochen später waren alle wieder zur Stelle. Und hatten allen Grund zum Staunen:
Ihr schöner neuer Sportplatz war ein Feld voller kräftiger Niebe-Bohnenpflanzen. Einen besseren Platz hatten die Leute in der Nachbarschaft sich gar nicht denken können für ihre Bohnen.
Die Hände.
Wenn man in Niger von Tahoua kommend über Keita und Bouza nach Madaoua fährt, kommt man durch eine unwirklich wirkende Landschaft aus schwarz-grauem Basaltgesteins, soweit das Auge reichen konnte und nur ganz selten unterbrochen von einigen Büscheln harten Grases, das sich in den Ritzen und Spalten halten konnte. Eine Landschaft wie die sichtbar gemachte Lebensfeindlich-keit, düster-bedrückend und ohne Leben.
Als wir eines Tages durch diese unwirtliche Gegend kamen, fanden wir einen jungen Tuareg, der mitten in dieser Wüstenei mutterseelenallein dort am Rande der Piste hockte. Wir hielten an und fragten, wohin er denn wolle und ob wir ihn vielleicht ein Stück seines Weges mitnehmen könnten, Platz sei noch genug im Auto.
Er lehnte freundlich, aber entschieden ab, er wolle ja nirgends hin, sagte er, er sei hier zu Hause.
Aber hier sei doch nirgendwo eine Hütte oder ein Haus zu sehen, war unser Einwand. Doch, meinte er, seine Hütte sei dort drüben, und er wies mit der Hand in eine unbestimmte Richtung hinter seinem Rücken, wo aber bis zum Horizont nichts zu sehen war als leere Landschaft.
Wir waren nun neugierig geworden und wollten etwas mehr von seinem Leben wissen und fragten, wovon er denn in dieser Gegend lebe, wir könnten keine Felder für Hirse oder gar Yams entdecken in dieser steinigen Gegend.
Die Antwort überraschte uns: Wenn Allah es will, meinte er, werde er schon etwas zum Essen finden und Allah habe ihn ja bis jetzt auch am Leben erhalten. Er mache sich deswegen keine Sorgen.
Und warum er denn nicht nach Keita oder Bouza gehen könne, um sich eine Arbeit zu suchen um
so vielleicht ein bisschen Geld verdienen zu können und sich auch ein bisschen mehr zu gönnen als nur die Almosen von Allah, fragten wir.
Da stand er entrüstet auf und zeigte uns seine Hände: „Seht euch diese Hände an! Die sind von Allah so geschaffen worden. Glaubt ihr, dass Allah mir diese Hände gegeben hat, um sie durch Arbeit kaputt zu machen?“
Wir haben ihm einen Teil unser Vorräte dagelassen, damit „Allah“ nicht die ganze Last mit ihm allein tragen muss. Eine andere Antwort hätte er wohl auch nicht verstanden.
Der Nachtwächter hinter dem Tor.
Ein Kollege von uns hatte eine Wohnung in einem Haus ziemlich weit draußen am Stadtrand von Niamey und die Gefahr, dass es zu Einbrüchen oder Diebstahl kommen könnte, war entsprechend groß. Also hat er einen jungen Tuareg engagiert, der vom Beginn der Dunkelheit am Abend bis zum anderen Morgen das Haus bewachen sollte und eventuelle Diebe in die Flucht schlagen sollte.
Dieser „Nachtwächter“ hatte nun eine sehr wirkungsvolle Idee, wie er diesen Job effektiv und gleichzeitig auf angenehme Art erledigen konnte. Er legte seine Schlafmatte direkt hinter die Pforte, die den Zugang zum Grundstück bildete und konnte so seinen Dienst selbst im Schlafen machen.
Als wir das noch nicht wussten, gab es etliche Male einen gehörigen „Bumms“ hinter der Pforte, wenn wir unseren Kollegen mal besuchten, weil er nicht mit den Füßen gegen das Tor lag, sondern mit dem Kopf.
Unserem Kollegen hat dieser geniale Einfall und die dabei entstandenen Beulen am Kopf des „Nachtwächters“nicht geholfen. Als er eines Tages spät nach Hause kam, war seine Wohnung ausgeräumt. Die Diebe waren über die Mauer hinter dem Haus gekommen, während sein „Nachtwächter“ ruhigen Gewissens hinter dem Tor am Eingang den Schlaf der Gerechten schlief.
Der Klemmring.
In Al Hadji Issifous Werkstatt stand eine Hobelmaschine. Aber sie wurde nicht benutzt. Das Kabel für die Versorgung mit Strom war aus dem Verteilerkasten an der Wand herausgerissen und die Tischler, die dort arbeiteten, erklärten mir, sie hätten Angst, mit dieser Maschine zu arbeiten, es sei ein böser Geist dadrin. Was genau mit dieser Maschine nicht stimmte, konnten sie mir nicht erklären. Und auch Al Hadji selbst konnte mir nicht sagen, was denn nicht stimmte mit dieser Maschine. Er meinte nur, er habe schon den Gedanken, sie wieder zu verkaufen.
Ich bot ihm an, mich um dieses Problem zu kümmern und zu versuchen, den „bösen Geist“ aus der Maschine zu vertreiben und Al Hadji war damit einverstanden.
Ich habe die Maschine also wieder angeschlossen und habe ein Stück Brett zur Bearbeitung hinein gegeben. War nach dem Einschalten noch nichts zu bemerken gewesen, so fing sie nun unter der Belastung an zu vibrieren, der „böse Geist“ meldete sich also.
Ich habe die Maschine nun geöffnet und habe die Lager kontrolliert, da nur in deren Bereich der Fehler liegen konnte, aber da sah ich auch schon das Problem: Auf der Messerwelle war ein Klemmring gebrochen und die Welle war dadurch nicht mehr fest fixiert und das bewirkte die Vibrationen bei der Arbeit.
Nun hatte ich natürlich das Problem, einen neuen Klemmring zu finden. In der Stadt bei den entsprechenden Händlern waren zwar Klemmringe zu bekommen in den Größen, die bei Fahrrädern und Mopeds gebraucht werden, nicht aber so spezielle Größen wie für Holzbearbeitungsmaschinen.
Als wir einige Tage später dann des abends mit mehreren anderen Kollegen beim Bier zusammen saßen, habe ich mein Problem mit dem Klemmring erzählt und siehe da, einer unserer Automechaniker wusste Rat: „Geh mal zur Landrowervertretung draußen an der Straße zum Flughafen, da kannst Du so einen Klemmring bekommen, denn das ist die Größe, die wir bei den Landrowern auch sehr oft benötigen. Ich habe sogar die Katalognummer dafür im Kopf, weil die
so einprägsam ist: 6699.“
Na, wunderbar, so eine Nummer kann ich mir auch merken und so fuhr ich dann anderntags frohgemut zur Landrowervertretung an der Straße zum Flughafen, um einen Klemmring zu kaufen – und erlebte eine Orgie von Bürokratie.
Auf dem Gelände standen mehrere Gebäude und gleich vor dem ersten stand in großen Lettern das Wort „Verkauf“ geschrieben und drinnen war gleich rechts das Hinweisschild „Ersatzteile“ über einem langen Verkaufstresen, hinter dem sich mehrere Angestellte um die Bedürfnisse der Kunden kümmerten. Also trug ich dem mir nächst stehenden freien Verkäufer mein Anliegen vor und sagte ihm auch gleich, dass das die Bestellnummer 6699 sei. Doch davon ließ sich der Verkäufer nicht beeindrucken. Er holte einen dicken Ordner unter dem Tisch hervor, der in Form von Explosions-zeichnungen den ganzen Landrower in seinen Einzelteilen enthielt und blätterte nun in aller Seelenruhe eine Seite nach der anderen um , bis er schließlich nach ungefähr zehn Minuten mit dem Finger auf die aufgeschlagene Seite stieß, mich triumphierend ansah und sagte: „Der da?“
„Ja“, sagte ich, „der da! Und da steht doch auch die Nummer, die ich Ihnen schon vorher gegeben habe“, sagte ich mit etwas Ungeduld in der Stimme. Aber das beeindruckte ihn wenig. Er holte nun einen Zettelblock unter dem Tisch hervor, auf dem in großen Buchstaben „Materialanforderung“ geschrieben stand, legte in aller Sorgfalt jeweils einen Bogen Blaupapier zwischen die obersten 4 Blätter und schrieb die Nummer und die Bezeichnung des Klemmrings in die Spalten, riss dann alle 4 Blätter von dem Block ab, zog die 4 Bogen Blaupapier heraus und legte sie zurück in den Block und diesen dann wieder zurück unter den Tisch. Nun nahm er die beschriebenen Blätter und ging zu einer Klappe in der Wand hinter ihm, öffnete sie und legte die Blätter dahinter auf die Ablage und machte die Klappe wieder zu. Und zu mir gewandt, bat er um etwas Geduld, der Ring werde gleich kommen.
Und er kam wirklich nach nur wenigen Minuten durch die Klappe in der Wand. Und es begann das gleiche Ritual wie vorher: Mein wackerer Verkäufer holte wieder einen Block unter seinem Tresen hervor, legte wieder 4 Bogen Blaupapier zwischen die obersten 4 Blätter und fing wieder an zu schreiben. Auf diesem Block stand in großen Buchstaben „Preisanfrage“. Dieses Mal bekam ich die Blätter und mußte damit quer über den Hof in ein anderes Gebäude, wo die Verwaltung untergebracht war, und dort wurde nun in einem großen Ordner nach dem Preis gesucht. Und nachdem er gefunden war, begann auch hier wieder das gleiche Ritual mit dem Zettelblock, der nun die Aufschrift trug „Preisermittlung“: 4 Blaubögen einlegen, ausfüllen und abreißen und den Block wieder zurücklegen. Die Zettel bekam ich und wurde gebeten, wieder zurück zu gehen zum Verkäufer und diesem die Zettel zu geben, damit er die Rechnung schreiben könne. Und wieder begann das Ritual: neuer Block mit Aufschrift „Rechnung“, Blaubögen einlegen, ausfüllen und abreißen, Block wieder weglegen und mir die Zettel in die Hand drücken mit der Bemerkung, dass ich damit nun zur Kasse müsse zum Bezahlen, die sei auch drüben im Haus wo die Verwaltung sei. Ich bin also wieder quer über den Hof marschiert und habe auch die Kasse gefunden und nachdem ich meinen Klemmring nun endlich auch bezahlt hatte und mich zum gehen umwandte, wurde ich durch ein scharfes „Halt“ gestoppt. Und noch einmal wurde ein Block hervorgeholt, noch einmal wurden die Blaubögen eingelegt und noch einmal wurden die Zettel ausgefüllt und abgerissen und ich bekam meine „Quittungen“, denn ohne diese dürfe mir der Verkäufer den Ring nicht aushändigen, wurde mir erklärt. Beim Verkäufer angekommen legte ich nun mit einiger Erleichterung die Quittungen auf den Tisch und wollte meinen Ring nun endlich auch haben, aber....
der war inzwischen wieder ins Magazin zurück gegeben.
Nach fast zwei Stunden war ich wieder draußen mit dem Klemmring in der Tasche, der umgerechnet nach deutschem Geld ca. 2.45 DM gekostet hat.
Al Hadji Issifou aber war sehr zufrieden, dass der „Böse Geist“ sich nun nicht mehr meldete.
Völkerverständigung.
Wir waren auf dem Rückflug von einer Regionalkonferenz von Yaounde, der Hauptstadt Kameruns, nach Douala, wo wir die Maschine in Richtung Abidjan erreichen mussten. Schon während des Fluges wurde über den Bordlautsprecher dazu aufgerufen, dass die Passagiere für den Weiterflug nach Abidjan sich bitte beeilen möchten beim Einchecken, da man sehr spät dran sei und die Maschine in Douala schon abflugbereit sei und nur noch auf die Passagiere dieses Fluges warte.
Der Flughafen in Douala ist sehr groß und wir mussten eine mehrere hundert Meter lange Strecke laufen bis zu den Schaltern der internationalen Fluglinien und während der ganzen Strecke plärrte immer wieder der Lautsprecher, der uns zur Eile ermahnte.
Und dort vor dem Schalter der Air-Afrique war ein wildes Gedränge und Geschiebe, weil keiner seinen Flug verpassen wollte während der Mensch hinter dem Schalter in aller Seelenruhe seine Arbeit machte und akribisch genau jedes Papier und jeden Pass begutachtete um dann seine Stempel draufzudrücken. Und dazu plärrte immer wieder der Lautsprecher und mahnte zur Eile.
Als endlich auch ich an der Reihe war, - es wurde im Lautsprecher schon von den letzten Minuten gesprochen -, passierte plötzlich etwas Ungewöhnliches: nach einem kurzen Blick in meinen Pass straffte sich plötzlich seine ganze Gestalt, prüfend sah er mir direkt ins Gesicht, dann wieder ein Blick in den Pass und dann sprang er auf und rannte regelrecht hinter den Schaltern längs zu einem kleinen Durchgang nach vorn vor die Schalter, wo wir alle auf seine Abfertigung warteten, kam direkt auf mich zu und umarmte mich wie einen lieben alten Freund, den man ein halbes Jahrhundert nicht mehr gesehen hatte, während ich noch am überlegen war, was ich denn wohl verbrochen haben könnte. Und dann hielt er mich auf Armeslänge von sich weg und erklärte mir in richtig feierlichem Ton, dass er auch „Wilfried“ heiße so wie ich und dass wir dann ja Brüder seien und er wünsche mir alles Gute und eine gute Reise und wenn ich mal wieder käme solle ich mich auf alle Fälle bei ihm melden und so weiter und so fort und er konnte kein Ende finden und hörte erst wieder auf, als ich ihm nun etwas drängend daran erinnerte, dass ich noch den Flieger erreichen müsste, der da draußen schon wartete.
Es waren nur Minutebruchteile, dann wäre der Flieger wegen dieser Art der Völkerverständigung ohne mich abgeflogen, die Tür musste meinetwegen noch einmal geöffnet werden, denn die war schon zu und die Gangway wollte gerade vom Flieger wegrollen.
Undank ist der Welt Lohn!
In Niamey gab es zur damaligen Zeit nur eine einzige Brücke über den Fluss Niger. Und da Niamey schon damals eine Stadt mit rund 350 000 Einwohnern war, war es auf dieser einzigen Brücke auch immer sehr belebt, es herrschte ein lebhafter Verkehr in beiden Richtungen von Menschen zu Fuß, Fahrrädern, Mopeds, Autos in allen Größen und auch Kamelen, die vollbeladen mit Feuerholz und anderen Gütern hinter ihren Besitzern hertrotteten. Dass das nicht immer ohne Zwischenfälle geht, ist verständlich und von einem solcher Zwischenfälle will ich hier erzählen.
Es war an einem späten Nachmittag, als ein junger Bursche mit seinem Kamel in Richtung Stadt trottete, mitten in dem schon eingesetztem Feierabendverkehr und es wurde manchmal schon stellenweise recht eng auf der Brücke mit all den Mopeds zwischen den Autos und den vielen Menschen, die zu Fuß unterwegs waren und alle nach Hause wollten. Als gerade eines der Mopeds an ihm vorbeizog passierte es: mit einem blechernen Scheppern kullerte plötzlich der Auspuff des Mopeds über das Pflaster direkt vor die Füße des Burschen. Das Kamel blieb sofort stehen und der Bursche sah verwundert auf das Blechding vor seinen Füßen.Inzwischen hatte aber auch der Mopedfahrer sein Vehikel mit einem Quietschen zum Halten gebracht und wollte seinen Auspuff holen. Doch der Bursche mit dem Kamel war schneller: hilfsbereit bückte er sich, hob den Auspuff auf, um ihn dem Mopedfahrer zu übergeben, doch kaum dass er ihn in der Hand hatte, stieß er einen Schmerzensschrei aus und im selben Moment flog der Auspuff mit einer wilden Bewegung seiner Hand durch die Luft, auf die Brüstung der Brücke und von da runter in das Wasser, wo er mit einem Zischen verschwand.
Auf der Brücke entstand ein kleiner Tumult: Mehrere Fußgänger mussten den Mopedfahrer davon abhalten, den Burschen mit dem Kamel zu verprügeln, weil der seinen Auspuff auf eine Art und Weise entsorgt hatte, die ihm nun gar nicht gefallen konnte und weil er meinte, dass die verbrannten Finger noch nicht genug Strafe für so viel Unverstand seien.
Ja, so ist das: Man bekommt nicht immer den Dank, der einem eigentlich gebührt.
Der Führerschein.
Ali war einer unserer Apprentis (Lehrlinge) in dem Zentrum für sozial auffälig gewordene Jugendliche, denen wir eine Ausbildung zu vermitteln versucht haben, damit sie ihr späteres Leben zu meistern in der Lage sein sollten. Es war kurz vor dem Ende seiner „Laufbahn“ bei uns, als er eines Tages zu mir kam und mich fragte, ob ich ihm nicht helfen könne, das Autofahren zu lernen, so dass er den Führerschein machen könne, um eine weitere Möglichkeit des Gelderwerbs zu haben, z.B. als Taxischauffeur.
Ali war nicht gerade einer der Besten unter unseren Apprentis und auch nicht gerade handwerk-lichen Tätigkeiten zugeneigt, aber seine drei Lehrjahre hat er absolviert, mehr schlecht als recht, aber immerhin durchgehalten und der Gedanke an ein zweites Standbein für sein Leben war ja nicht schlecht. Doch da ich seine Schwächen gut kannte, sagte ich ihm also folgendes:
„Also, mein lieber Ali, dann pass jetzt mal schön auf. Wenn Du Autofahren lernen willst, dann musst Du mit der rechten Hand arbeiten, mit der linken Hand arbeiten, Du musst mit dem rechten Fuß arbeiten und Du musst auch mit dem linken Fuß arbeiten und auch Deinen Kopf musst Du benutzen!“ Ali sah mich an und nachdem er das Gesagte verarbeitet hatte, meinte er nur, dass das wohl doch nichts für ihn wäre, sooooo schlimm habe er sich das nicht vorgestellt.
Afrikanische Medizin.
Wer als Weißer das erste Mal über afrikanische Märkte geht, ist fasziniert von den vielfältigen und bunten Angeboten aller möglichen Sachen. Da sind die Ecken mit den Früchten und Gewürzen, die in allen Farben von rot über grün und gelb bis hin zu den braunen Farbtönen in allen Nuancen schillern, da sind die Stände mit den Stoffen, den Pangnes, die in ihrer Buntheit nicht zu überbieten sind, da sind aber auch die „fliegenden“ Händler, die mit ihren Tabletts auf dem Kopf alle möglichen kleinen Dinge anbieten von ein paar Kaugummis über gebratene Hähnchen oder Brochetten bis hin zu Früchten und Erdnüssen oder auch als wandelnde Apotheken die Märkte bevölkern. Und nicht selten sitzt dann auch ein „Marabu“ unter einem kleinen Blech-oder Stroh-dach um „Naturmedezin“ aus getrockneten Tierknochen und anderen undefinierbaren Stoffen anzubieten. Und es machte immer viel Spass, mit ihnen zu diskutieren über die verschiedenen Mittelchen, die sie uns anpriesen.
Einer dieser Händler, ein alter Haussa, sprach mich eines Tages an und meinte, er habe ein ganz sicheres Medikament für mich, dass mir meine Haare wieder wachsen lasse, wobei er mit besorgtem Blick meine großen schütteren Flächen auf dem Kopf begutachtete und mir gleichzeitig ein dünnes Tütchen mit einem grauen Pulver darin anbot, „moin chere“ (sehr billig), wie er mir versicherte und sehr wirksam. Schon nach wenigen Tagen würde ich von dem Erfolg dieses Medikaments begeistert sein.
Mehr aus sozialen Erwägungen als aus Überzeugung hab ich ihm ein Päckchen dieses Wundermittels abgekauft und, da es doch sehr nach zerriebenen getrockneten Knochen aussah, später zu Hause im Garten verstreut.
Es war einige Wochen später, wir saßen des abends nach Feierabend vor einer kleinen Buffette an den aufgestellten Tischen am Straßenrand bei einem Bier, als dort ein alter Haussa vorbeikam und Medikamente verkaufen wollte und nach näherem Hinsehen erkannte ich ihn wieder als den Händler, der mir das Haarwachsmittel verkauft hatte. Und auch er hatte mich wohl schon erkannt in dem Moment, denn er sah mich ziemlich verdutzt an und dann konnte man merken, dass er wohl einer Begegnung mit mir gerne aus dem Weg gegangen wäre. Doch da ich ihn schon grüßte, kam er an unseren Tisch und fragte mich, was ich denn mit seinem Medikament gemacht hätte und dabei starrte er auf meinen Bart, den ich ihn den letzten Wochen hatte wachsen lassen.
Ich habe ihn beruhigt und gesagt, dass sein Medikament wohl falsch programmiert gewesen sei, aber dass mir dieser Bart auch ganz gut gefalle. Er hatte es plötzlich sehr eilig, sich zu verabschieden.
Die Holzschuhe.
Wenn ich mal Urlaub hatte und diesen in Deutschland verbringen wollte, hatte ich immer lange
Listen dabei mit Wünschen meiner afrikanischen Kollegen und Freunde für Dinge, die sie vor Ort nicht bekommen konnten. Und wenn diese Wünsche nicht meine Möglichkeiten überschritten, habe ich sie auch gerne erfüllt. Aber es gab immer ein Problem mit den Zollbeamten bei der Rückkehr ins Gastland, die immer genau wissen wollten, was ich denn mit all den Sachen in meiner Zargesbox machen möchte und nicht immer geglaubt haben, dass das nicht dazu gedacht war, einen Kommerz damit aufzubauen, sondern dass das nur Mitbringsel für Freunde und Kollegen sind. Es bedurfte immer ziemlich nervenaufreibender Diskussionen, um sie von der Lauterkeit meiner Erklärungen zu überzeugen.
Doch einmal habe ich es geschafft, dass fast alle Zollbeamten von ihren ursprünglichen Aufgaben abgelenkt waren und sich pauschal einer Pflichtverletzung schuldig gemacht haben. Und das kam so: Bei einem Stadtbummel in Deutschland während eines Urlaubs hatten wir in einem Handwerkerladen auch ein paar Holzschuhe entdeckt und spontan auch gekauft, weil wir dachten, dass so etwas in Afrika vielleicht Nachahmer finden könnte und somit möglicherweise zu einer Existenzbildung beitragen könnte. Und wenn es das nicht wäre, wäre es zumindest aber auch ein originelles kleines Mitbringsel für den einen oder anderen unserer Bekannten oder Freunde. Und so lagen denn diese Holzschuhe gleich ganz oben auf all den anderen Sachen in meiner Zargesbox und fielen dem Zollbeamten auch gleich als erstes ins Auge. Halb ungläubig und halb staunend ließ er sich erklären, dass man diese Schuhe wirklich tragen könne und dass das keine ausgefallenen Zierstücke seien. Und um sich von der Richtigkeit meiner Aussage zu überzeugen, zog er seine Schuhe aus und schlüpfte in unsere Holzschuhe und machte ein paar Schritte nach rechts und links
auf dem gefließten Boden, was nun das typische Klappern von Holz auf Stein erzeugte und seine anderen Kollegen aufmerksam machte, die ihrerseits nun alle diese Schuhe ausprobieren wollten und ein mit vielen lustigen Bemerkungen begleitetes Geklapper auslöste. Doch letztlich haben sie sich wieder an ihre Pflicht erinnert, zumal andere Reisende schon mit unmutigen Bemerkungen anfingen, darauf aufmerksam zu machen, dass noch mehr Arbeit auf sie warte und ich bekam die Holzschuhe wieder zurück, wobei er mir signalisierte, dass das in Ordnung sei und ich passieren könne.
Dass er eine elektrische Nähmaschine und kleine Holzbearbeitungsmaschinen und andere Werzeuge, die alle noch unten in der Zargesbox zu finden gewesen wären, nicht gesehen hat, wurde
durch das überbordende Interesse an den Holzschuhen verhindert.
Auf dem Markt in Maradi.
Ich hatte des öfteren auch in Maradi, einer Stadt im Osten Nigers nahe der Grenze zu Nigeria zu tun. Die Mehrheit der Bevölkerung waren Haussas und die Haussas sind ein Händlervolk und entsprechend groß und bunt war auch der Markt mitten in der Stadt. Da waren die bunt bemalten kleinen Tonkrüge, die in nassen Sand eingebuddelt waren und für die Besucher frisches Trinkwasser bereithielten, da waren die mit Abbildern von Moscheen bedruckten Emailleschüsseln und Eimer und die Kalebassen in allen Größen mit eingebrannten Verzierungen, die Stände mit den bunten Stoffen und die in vielen Farben sich darbietenden Schüsseln mit den verschiedenen Gewürzen, die Ecken mit den in großen Stücken feilgebotenem Salz aus Bilma und Fachi und all die anderen Dinge, die die Menschen zum Leben brauchen. Sogar ein kleiner Spielplatz für die Kinder mit einfachen, aus Eisenrohr zusammengeschweißten Spielgeräten war in der einen Ecke dieses großen Marktes.
Ich habe fast jede freie Minute auf diesem Markt zugebracht und immer wieder neue faszinierende Dinge entdeckt, es war jedesmal ein Festival der Sinne: Augen, Nase und Ohren wurden gleichermaßen satt und auch für den Magen war gesorgt mit den Angeboten von Koliko und Aloko, den in Öl frittierten Schnitten von Yams und Bananen, von Brochetten, den rund um die Feuer in den Boden gesteckten Spießen mit Ziegen- oder Hammelfleisch, von all den Patts und Foufous und anderen zu einem festen Brei verarbeiteten Früchten mit den dazugehörenden scharfen Soßen und vom Kilichi, den in hauchdünnen Scheiben geschnittenem Fleisch, das nur in der Sonne getrocknet wird und mit einer höllisch scharfen Soße aus Piment ständig eingestrichen wird und von kleinen Jungs gegen die Annäherungsversuche der Geier geschützt werden muss.
Bei diesen Besuchen hatte ich natürlich auch meine Kamera ständig bei mir, denn zum einen lockten alle diese vielen neuen Eindrücke natürlich, auf einem Film festgehalten zu werden, anderseits war die Kamera auch das Mittel, um ins Gespräch mit den Menschen zu kommen, denn in einer muslimischen Gesellschaft sollte man immer fragen, ob man ein Foto machen darf, und da der Markt ja immer voller Menschen war, waren Fotos ohne Menschen auch gar nicht möglich und Fotos ohne Gespräche eben auch nicht.
Eines Tages entdeckte ich ein bisschen abseits von dem üblichen Marktgetriebe einen kleinen Hangar von gerade mal 2 mal 2 Metern, abgedeckt nur mit einer einfachen Strohmatte und mit einer uralten Frau, die darunter im Sand hockte. Mit einem Gesicht so voller Runzeln und Falten wie wenn man ein Stück Papier immer und immer wieder zusammengeknüllt hätte. Das war natürlich ein tolles Motiv für ein Foto und ich versuchte, mit ihr ins Gespräch zu kommen, was aber gar nicht so leicht war, denn sie verstand nicht ein einziges Wort französisch und ich kein Wort ihrer Sprache.
Da sie aber dachte, dass ich wohl einen der aus bunten Lederstreifen geflochtenen Lederriemen, die rund um sie herum auf drapiert waren, kaufen wollte, rief sie einen kleinen Jungen her, der unsere Unterhaltung nun übersetzen musste.
Ich sagte ihm nun, dass ich gerne ein Foto von der Dame machen möchte und ob er sie fragen könne, ob sie damit einverstanden sei. Der Junge erklärte ihr, was ich ihm aufgetragen hatte, doch er hatte noch nicht einmal zu Ende geredet, da hob sie schon abwehrend beide Hände und selbst ihre ganze Haltung veränderte sich zu sichtbarer Entrüstung über dieses Anliegen und es erging ein Wortschwall über mich, von dem ich, Gott sei Dank, zwar kein Wort vestanden habe, der aber so deutlich war, dass mir der Junge das gar nicht mehr übersetzen musste und um sie wieder zu beruhigen, trug ich dem Jungen auf, sie zu fragen, was denn die schönen Lederriemen kosten würden und ob sie mir davon einen verkaufen würde.
Inzwischen hatten sich auch schon einige Zuschauer eingefunden, die das Geschehen beplapperten und ich konnte an den Gesichtern erkennen, dass es sich meistens wohl um recht spöttische Kommentare handelte dabei, denn bei dem einen oder anderen war ein schadenfrohes Grinsen nicht zu verkennen, bei den Frauen unter ihnen allemal. Der Junge waltete während dessen seines Amtes und am Gesichtsausdruck der alten Dame konnte ich erkennen, dass sich die Wogen der Entrüstung wieder glätteten und dass sie an einem Geschäft durchaus interessiert war, denn sie redete nun eindringlich auf den Jungen ein und unterstrich ihre Worte sogar mit erhobenem Zeigefinger.
Der Junge erklärte mir nun, dass ich mir einen der Riemen aussuchen könne und dass ich dafür 1000 Franc bezahlen müsse, billiger könne die Frau das nicht machen und so suchte ich einen schönen bunten Riemen aus und gab ihr einen Tausendfranc- Schein (ca.3 DM) und aus einem Impuls heraus, hielt ich noch eine 100 Franc Münze daneben und wedelte damit zwischen der Kamera und ihr hin und her, um anzudeuten, dass ich die ausgeben würde für ein Foto. Doch sie hatte schon verstanden, mit einer schnellen Bewegung hatte sie schon das Geld an sich genommen und hielt mir ihr Gesicht hin, dass durch einen lachenden zahnlosen Mund zum Fotografieren einlud.
Unter den Umstehenden, deren Gruppe inzwischen auf zirka zwei Dutzend Menschen angewachsen war, entstand nun ungebremste Heiterkeit und einige Frauen klatschten sogar in die Hände. Und da der Junge immer noch an meiner Seite war und auch auf einen seinen „Lohn“ wartete, wollte ich noch von ihm nun wissen, warum die Leute sich denn so amüsierten. Er druckste erst so ein bisschen herum, dann sagte er, die Lederriemen würden sonst nur von jungen Frauen gekauft, das seien Fruchtbarkeits-gri-gris, die die Frauen sich um den Leib binden, wenn sie noch keine Kinder bekommen haben. Die Leute hätten sich gewundert, dass auch ein weißer Mann so etwas braucht.
Und die alte Dame habe mir einen Preis abverlangt, für den ich eigentlich 3 Riemen hätte bekommen müssen.
Naja, ich hatte dafür ein tolles Foto!
Zensus in Togo.
Anfang der 90er Jahre wurde in Togo eine Volkszählung durchgeführt. Die Regierung hatte dazu angeordnet, dass die Grenzen des Landes 3 Tage geschlossen werden und dass alle Togoer diese drei Tage zu Hause bleiben müssen. Die Zählaktion selbst sollte von den Studenten der Universität durchgeführt werden, die von Haus zu Haus gehen sollten und alle Leute, so weit sie togoischer Nationalität sind, in ihre Listen einschreiben sollten.
Zu der Zeit lebte meine Familie schon in Ghana, ich hatte sie dort hingeschafft, nachdem der DED die deutschen Familien aus Togo herausgeholt hatte, weil es Übergriffe des Militärs gegeben hatte während der Querelen nach dem Generalstreik, und so war ich allein im Haus, als am zweiten Tag der Zählaktion zwei junge Damen an die Gartenpforte klopften.
Sie stellten sich vor und zeigten mir auch ein Beglaubigungspapier und fragten nach der Anzahl der Menschen, die hier im Hause seien. Ich sagte ihnen, dass ich hier allein sei. Das mochten sie aber so nicht glauben, denn die Wortführerin belehrte mich, dass sie nicht nach den „Weißen“ frage, sondern nach togoischen Bürgern. Ich erklärte ihr noch einmal, dass ich wirklich ganz allein in dem Haus wohne und im Moment keine togoischen Mitbewohner hätte, wenn sie aber unbedingt etwas auf ihren Block aufschreiben wolle, könne sie ja auch mich aufschreiben, denn ich sei schon so lange in Togo, dass ich auch schon als Togoer gelten könne, fügte ich zum Spaß hinzu.
Doch da meldete sich die zweite junge Dame zu Wort und sagte recht energisch, dass das nicht möglich sei, und, um eine Erklärung dazu zu liefern, fügte sie hinzu, dazu sei ich noch gar nicht schwarz genug.
So gesehen, werde ich wohl nie die togoische Staatsbürgerschaft bekommen können.
Der Grenzzaun.
Lome, die Hauptstadt Togos, hat ein ähnliches Schiksal erfahren wie Berlin: es ist eine von den früheren Kolonialherren, den Franzosen und den Engländern, geteilte Stadt. Geschehen ist das allerdings schon in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg, als diese beiden Länder die Deutschen aus Togo vertieben hatten, da haben sie die Grenze zwischen Ghana und Togo neu festgelegt und so ist auch heute noch die Stadtgrenze von Lome gleichzeitig die Landesgrenze zu Ghana. Markiert wird diese Grenze durch eine Straße auf togoischer Seite, die in Süd-Nord-Richtung vom Strand bis hoch nach Klikame führt. Rechts wohnt man in Lome, links in Aflao in Ghana. Und da diese Teilung in den 90er Jahren schon seit rund 70 Jahren bestand, ist es ein natürlicher Zustand, dass viele Familien auf beiden Seiten dieser Grenze ansässig sind und das auch es einen unkontrollier-baren kleinen Grenzverkehr zwischen diesen Familien gibt.
Der wurde aber eines Tages empfindlich gestört, als es im Verlaufe der Querelen in Togo1993 auch zu Schießereien des togoischen Militärs über die Grenze hinweg mit dem ghanaischen Militär gekommen war. Das togoische Militär erklärte die Grenze als gesperrt und um ihrer Anordnung den nötigen Nachdruck zu verleihen, wurde nun entland der Grenzstraße im Stadtgebiet von Lome ein Zaun gezogen. Keine Mauer wie in Berlin, aber ein zwei Meter hoher Zaun aus Maschendraht und gekrönt mit einer Rolle Stacheldraht.
Die Empörung unter den Leuten beiderseits der Grenze war groß und da sie sowieso gegen das Regime waren, wurden also unverzüglich Gegenmaßnahmen in Angriff genommen. Die Lösung war der Hausmüll. An mehreren Stellen entlang des Zaunes brachten die Anlieger beiderseits des Zaunes ihren Hausmüll bis an den Zaun, kippten ihn dort auf einen Haufen und das jeden Tag mit schöner Regelmäßigkeit. Nach ungefähr anderthalb Monaten waren die Berge von Müll beiderseits des Zaunes so hoch, dass eine Passage an diesen Stellen ohne Probleme auch von älteren Mitbürgern zu bewältigen war und der „Kleine Grenzverkehr“ konnte wieder aufgenommen werden.
Wie einfach könnte doch das Zusammenleben sein, wenn sich alle Probleme auf solche Weise lösen ließen.
Kossi Broni.
Wir weißen Bewohner dieses Planeten haben in den afrikanischen Ländern Westafrikas besondere Bezeichnungen. In Burkina Faso und Niger waren wir die „Anasara“, in Togo und Benin die „Yowos“ und in Ghana nannten und uns die Leute „Broni“. Es bedeutete aber nicht ausschließlich „Weiße“, sondern war mehr im Sinne von „Fremder“ zu verstehen, oder wie wir hier in Deutschland sagen würden: „Ausländer“.
In Ghana gab es allerdings eine Spezialisierung: wir wurden dort nicht nur Broni genannt, sondern „Kossi Broni“. Und das hatte folgenden Grund: Die meisten Broni, die dort waren, waren Weiße und selbst ein weißer Arbeiter oder Angestellter hatte immer noch eine bessere finanzielle Grundlage als ein normaler ghanaischer Arbeiter oder gar Angestellter. Weiße gelten also in den Augen der Einheimischen alle als „reich“.
Es gibt aber bei dieser Geschichte noch eine andere Besonderheit der Völker dort zu beachten, das sind die Namen. Es ist üblich, einem Kind bei der Taufe oder Namensgebung den Namen des Tages, an dem es geboren worden ist, dem Vornamen voranzustellen.
In Ghana hat das dazu geführt, dass man den „Weißen“, die ja alle als „reich“ gelten, generell den Sonntag als Geburtstag zuerkannt hat, weil eben reiche Leute nur auf einem Sonntag geboren sein können. Und so sind wir in Ghana nicht nur „Broni“, sondern „Kossi Broni“, der Sonntags-Fremde.
Gott sei Dank!
In Togo und auch in Benin in den Regionen, wo Mina oder Ewe gesprochen wird, findet man häufig über den Türen zu den Boutiquen oder Buvettes oder den kleinen Handwerksbetrieben den Spruch
„Ele Mawu si“ geschrieben, was auf deutsch heißen würde: „Gott sei Dank!“ Man ist ja recht gläubig und das auch öffentlich und offen zu zeigen, mag ja womöglich nicht nur den Chef ganz oben gnädig stimmen, sondern auch den einen oder anderen Kunden dazu zu bewegen, einzutreten.
Als meine erste Klasse ihren Abschluss gemacht hatte und ins Erwerbsleben entlassen wurde, hatten sich vier der nun neuen Tischler zu einer Kooperative zusammengefunden und wollten zusammen eine Werkstatt aufbauen. Und sie hatten sogar schon ein Grundstück gefunden, auf dem sie ihre Träume umsetzen konnten und da ich ihnen auch geholfen hatte, einen ansehnlichen Kredit über „Brot für die Welt“ zu bekommen, entstand nun eine neue Werkstatt an einer der besten Lagen Lomes: an der Marina zwischen dem Hotel de „La Paix“ und dem Hotel „Sarakawa“, wo an den Wochenenden fast alle Weißen irgendwann einmal vorbei kamen, denn es lockten dort nicht nur die Schwimmbäder der Hotels, es war auch die Strecke zum Hafen von Lome und zu den Badestränden weiter ausserhalb.
Und wie nicht anders zu erwarten war, wollten auch sie ihrer Werkstatt keinen Namen ohne den Bezug zur himmlischen Instanz geben und auch „Ele Mawu si“ nennen, aber sie hatten die Idee, in Anbetracht dessen, dass sie diese Werkstatt ja mit viel deutscher Hilfe bekommen hatten, diesen „Namen“ nun in deutscher Sprache zu nutzen und so stand denn eines Tages in großer Schrift fein säuberlich dahin gemalt „Gott sei Dank“ und dann wieder in französischer Sprache etwas kleiner darunter „Menuiserie moderne“.
Es hat sich für sie gelohnt: Es sprach sich rum in der Gemeinde der Ausländer und sie hatten viele Kunden aus den verschiedenen Botschaften und selbst viele Touristen haben sich für ihre Angebote interessiert. „Gott sei Dank“ war ein Start par excellence in die Selbstständigkeit.