Willi Reese – Erinnerungen 2

                                                                                                                                Kumasi,  1995

 

ERINNERUNGEN

 

Vor mir liegt ein Bericht des damaligen Beauftragten des Deutschen Entwicklungsdienstes in Togo, Herrn Rudi Schwarzwälder, der die Ereignisse des im Jahre 1990 begonnenen Demokratisierungsprozesses und den damit ausgelösten Bürgerkrieg in Togo schildert. Dieser Bericht soll in der Festschrift zum 40-jährigen Bestehen des DED gedruckt werden und Herr Schwarzwälder, mit dem mich eine kameradschaftliche Freundschaft verbindet, hat ihn mir vorab zum Lesen geschickt.

 

Das hat natürlich viele Erinnerungen aus dieser wilden Zeit wieder wach werden lassen und ich habe für mich beschlossen, auch meine ganz persönlichen Erlebnisse während dieser Auseinandersetzungen für die Zukunft festzuhalten und aufzuschreiben. Ich war unter allen Entwicklungshelfern, die in Togo eingesetzt waren, derjenige, der am längsten im Lande war und habe diese schlimmen Querelen von Anfang an miterleben und beobachten können.

 

Meine erste Arbeit war in einem staatlichen Projekt zur Resozialisierung auf- oder straffällig gewordener Jugendlicher, in das später noch zwei andere Entwicklungshelfer eintraten. Wir hatten enorme Schwierigkeiten mit dem togoischen Direktor des Zentrums, der sich völlig ungeniert aus unseren Projektkassen bediente und in allem nur seinen eigenen Vorteil suchte und dabei auch noch von seinem Dienstherrn, dem Directeur-general im Sozialministerium, was dem Rang nach dem eines deutschen Staatssekretärs gleichkommt, gedeckt wurde, so dass unsere Proteste gegen solches Gebaren ohne Wirkung blieben. Als dann dieser „Directeur-general“ auch noch selbst anfing, die Baumaterialien für sein Privathaus auch per Dekret aus unserem Magazin abholen zu lassen und somit praktisch unsere Kunden beklaute, war ein Stand der Dinge erreicht, der eine Intervention unseres Beauftragten  beim Minister selbst unumgänglich machte. Aber auch das blieb ohne Auswirkungen und so haben wir dann dieses Projekt Ende 1989 unter Protest aufgegeben. Es war die Zeit, als die ersten zaghaften Aktionen einer Opposition in Togo die Zeit des Bürgerkriegs einläutete.

 

Doch schon 1986 gab es einen Umsturzversuch, der von nach Ghana geflüchteten oppositionellen jungen Togoern mit einigen aufrechten togoischen Militärs gegen das Regime des Präsidenten Eyadema geführt worden war.

 

Der Putschversuch 1986 

 

Im Jahre 1986 hatten wir gerade ein anderes Haus bezogen, weil das uns von der Stadt zur Verfügung gestellte Haus praktisch nicht mehr bewohnbar war und die Stadtverwaltung eine Renovierung ablehnte. Wir hatten nun die beiden Jungen bei uns und wollten die nicht unnötigen gesundheitlichen Gefahren aussetzen, denn die zum Haus gehörenden Klärgruben waren verrottet, so dass der ganze Boden hinter dem Haus von Schmutzwasser getränkt war, die Fensterrahmen waren voller Termiten und Ameisen und das Dach hatte mehrere Löcher, durch die das Regenwasser herein kam. Wir sind daher in ein anderes Haus in Tokoin-Quest gezogen. Der einzige Vorteil bei dem alten Haus war, dass wir immer wussten, wann der Präsident auf Reisen war, denn dann stand immer ein Panzerwagen am Ende unserer Straße, weil daran anschließend das Gelände des staatlichen Rundfunks begann, und solche Objekte sind in der Regel das erste Ziel  bei möglichen Putschversuchen, wir haben das erst letzten Monat wieder bestätigt bekommen bei dem Putsch in Abidjan in der Elfenbeinküste. Tokoin-Quest ist ein Quartier, welches direkt bis an die Ghanagrenze reicht, und so waren wir auch genau im Zentrum des Aufmarschgebiets dieser Freiheitskämpfer und die erste Schießerei begann kurz vor Mitternacht fast vor unserer Haustür. Jeannette war schon im Bett und kam ganz verstört  in den Salon, wo ich noch am Lesen war. Ich habe sie dann erst einmal beruhigt, indem ich ihr erklärte, dass da wohl jemand schon für Sylvester probt, aber als es dann immer schlimmer wurde und in Richtung Militärcamp, wo sich der Präsident auch oftmals die über Nacht aufhält, auch größere Kaliber detonierten, war klar, dass es wohl etwas Ernsteres sein musste. Aber als sich der Lärm dann weiter stadtauswärts in Richtung Agoenyive bewegte, wo sich die Residenz und noch ein paar Kilometer weiter das Oberkommando der togoischen Armee befindet, haben wir uns schlafen gelegt.

 

Am anderen Morgen war alles ruhig, aber auch kein Mensch auf der Straße zu sehen. Doch da ich ja zur Arbeit musste, bin ich in mein Auto gestiegen und losgefahren. Auf der Hauptstraße angekommen, war ich sofort in einer Militärkontrolle, die auf recht ruppige und aufgeregte Art fragten, was ich auf der Straße zu suchen hätte, ob ich nicht wüsste, dass eine Ausgangssperre wäre und wo ich denn hin wolle. Ich erklärte ihnen, dass ich Deutscher sei und dass in Cacavelli draußen 20 Jugendliche im offenen Strafvollzug ohne Aufsicht seien, wenn ich nicht hinkäme, und so haben sie mich fahren lassen. Hilfreich war wohl auch mein rotes Nummernschild am Auto, auf das einer der Soldaten seine Kameraden aufmerksam machte. (Das rote Nummernschild bedeutete nur, dass das Auto nur für eine gewisse Zeit in das Land eingeführt war und zollfrei ist, was aber häufig auch mit den Diplomatenautos verwechselt wird, die hier in Westafrika fast überall auch rote Nummernschilder haben. Wenn dann aus Unwissenheit in mein rotes Schild solch ein Diplomatenstatus hinein interpretiert wurde, habe ich mich nie dagegen gewehrt!). Draussen an der Bretelle von Tokoin zur Atakpamestraße habe ich dann das ganze Ausmaß der nächtlichen Schießereien zu sehen bekommen, nachdem ich bis dahin noch mehrere Kontrollen passiert hatte: Etliche Leichen, die noch an der Seite im Graben lagen, zerschossene und ausgebrannte Autos, in denen auch noch zum Teil die Kadaver hingen und überall noch die Militärs in Stellung.

 

Gegen 11 Uhr am Vormittag kam dann aus der Direction-general die Weisung, dass das Centre für einige Tage geschlossen wird und die Leute, die es geschafft hatten herzukommen, sollten unverzüglich wieder nach Hause gehen. Aber das war, wie sich gleich nachdem ich die Hauptstraße wieder erreicht hatte, herausstellte, außerordentlich schwierig. Die Hauptstraße war nun von gepanzerten Fahrzeuge für jeglichen Verkehr gesperrt worden. Nach vielem hin und her über kleine Nebenpisten und Fußwege bin ich schließlich bis unterhalb der Universität auf die einzige Straße, die auf direktem Wege zu mir nach Hause führt gekommen, die aber komischerweise durch keine Militärkontrolle versperrt war, obwohl sie doch unten am Ende direkt vor dem Hauptportal des Militärcamps vorbeiführt. Drei Minuten später wusste ich, warum. Kurz vor der Kreuzung, wo es zum Camp hinein geht, sprang plötzlich ein Soldat aus seiner Deckung und schrie, ich solle sofort aus dem Auto und in Deckung gehen, “ „…vite, vite vite.“ (Schnell, schnell, schnell..) Ich bin also wirklich schnell aus dem Auto raus und bin in einen kleinen Gang zwischen zwei Häusern gelaufen und habe vorsichtig um die Ecke geguckt, was denn da los sei. Doch schon in dem Moment ging rundherum eine wilde Ballerei los und ich habe mich schleunigst hinten in dem Gang hinter einem Sandhaufen in Deckung gebracht.Mehr als eine Viertelstunde habe ich dort gelegen, dann war es plötzlich wieder still rund herum. 10 Minuten später habe ich dann den Mut gefunden, bis zur Straße vorzugehen und um die Ecke zu gucken. Es war nichts mehr zu sehen und auch nichts mehr zu hören. Ich habe dann einen Schritt auf die Straße gemacht um gleich wieder zurück zu treten, und nichts passierte. Auch nach einem zweiten Versuch blieb alles ruhig. Da hab ich dann all meinen Mut zusammen genommen und bin ganz langsam bis zum Auto gegangen, eingestiegen und losgefahren und alles blieb ruhig.

 

Gegen zwei Uhr nachmittags war ich dann zu Hause. 

 

Drei Tage später ist mir dann Jeannette verloren gegangen. Es war nichts weiter passiert und die Ausgangssperre war tagsüber aufgehoben und so war sie morgens zum Markt gegangen zum Einkaufen. An dem Morgen kam jedoch die von dem Militär angeforderte Verstärkung ihrer Truppe aus Lama-Kara in Lome an. Die waren rund 6 Stunden auf ihren Lastwagen unterwegs gewesen und hatten sich auf dieser langen Fahrt ordentlich Mut angetrunken und fuhren nun direkt bis mitten in die Stadt hinein und fingen dort rund um den Markt eine wilde Schießerei in die Luft an, auch gegen die Hauswände und einige Autos. Im Markt brach darauf hin eine Panik aus. Mehrere Menschen wurden dabei totgetrampelt und viele verletzt. Jeannette ist raus gekommen und konnte sich in Richtung Marox retten, wo sie von einer anderen Entwicklungshelferin aufgegriffen wurde und von der im Auto mit nach Haus genommen wurde. Spätnachmittags rief dann unser Nachbar über die Mauer zu mir herüber, wo ich Jeannette finden könnte, um sie abzuholen. Unser Nachbar hatte Telefon und war der Bruder des ehemaligen Präsidenten von Togo, der von dem jetzigen, dem Eyadema, ermordet worden war. Später haben dann die Halbwüchsigen, die im Markt herumlungern, sich diese Methode zu eigen gemacht und aufgeblasene Tüten zerknallt und weil die Marktfrauen sich dann instinktiv in Deckung brachten, haben so manche Geldkasette oder andere Dinge dabei den Besitzer gewechselt.

 

In den folgenden Monaten wurden dann entlang der Ghanagrenze verstärkt Militärposten stationiert und einer davon war direkt vor unserem Haus eingerichtet worden. Wir hatten also für eine längere Zeit eine gute Bewachung und brauchten keine Einbrecher zu fürchten. Als Gegenleistung konnten die Soldaten dafür unsere zweite Dusche und Toilette auf dem Hof benutzen und waren dafür sehr dankbar. Mit der Zeit entwickelte sich ein recht freundschaftliches Verhältnis mit ihnen, denn es waren immer die gleichen Leute. Sieben Jahre später sollte sich diese Freundschaft für mich auszahlen, aber das konnte ich da ja noch nicht einmal ahnen.

 

Die Ereignisse ab 1990

 

Der Generalstreik

 

Das Jahr 1990 war auch in Togo das Jahr, in dem der Ruf nach mehr Freiheit und Demokratie immer lauter wurde. Das Regime Eyadema hatte schließlich nicht verhindern können, dass Radio und Fernsehen die Nachrichten vom Zusammenbruch des kommunistischen Blocks in Europa und dem Fall der Mauer in Berlin auch in Togo publik machten. Es bildeten sich mehrere Oppositionsparteien, die sich anfangs noch einig waren in der Forderung nach einer „Conference-national“, in der alle Parteien und alle gesellschaftlichen Gruppen vertreten sein sollten und eine neue Verfassung  erarbeiten sollten für ein demokratisch organisiertes Togo. Die Regierung lehnte dies natürlich strikt ab und so rief die Opposition zur Durchsetzung ihrer Forderung zu einem Generalstreik auf. Ich arbeitete zu der Zeit schon in meinem zweiten Projekt in Togo bei den Patres des Salesienserordens und wir waren übereingekommen, sollte es tatsächlich zum Streik kommen, wollten wir uns daran beteiligen, wir wollten nichts tun, was einer demokratischen Entwicklung entgegen stehen könnte. Es war allerdings keiner von uns davon überzeugt, dass ein Generalstreik in Togo möglich wäre, aber wir hatten uns alle verschätzt.

Der Streik wurde ausgerufen und alle, aber wirklich alle, haben ihn befolgt. Es war so unglaublich, dass ich am zweiten Tag morgens einen Gang durch die Stadt gemacht habe und dabei nicht einen Laden gesehen habe, der offen war, nicht einen Handwerker arbeiten gesehen habe, keine Taxis habe fahren sehen, kurz ich ging durch eine regelrecht „tote“ Stadt, in der mir nur vereinzelt einige Fußgänger begegneten. Es war direkt gespenstisch, wenn man sich dagegen das ganz normale, quirlige Leben der afrikanischen Städte vorstellte. Gegen Mittag kam ich wieder nach Hause und Jeannette hatte das Radio an, um keine wichtigen Nachrichten zu verpassen und der Ansager war gerade dabei, durch zu geben, wo sich die Leute aufzustellen hätten, um dem Präsidenten einen  „chalereuse acceuil“, einen „warmherzigen Empfang“, zu bereiten, denn er war auf einer Tagung der ECOWAS, der wirtschaftlichen Union der westafrikanischen Staaten, in Abuja, der Hauptstadt Nigerias, gewesen und war nun auf dem Rückflug nach Lome.

Das mit dem Aufstellen entlang der Route vom Flugplatz hin zum Camp-militaire war Pflicht für jeden Togoer und sogar Schulen mussten immer mit allen Schülern hin, um diesen warmherzigen Empfang zu zelebrieren. Jede Rückkehr von einer Reise war also jedes mal eine Triumpffahrt, wenn auch nur eine kommandierte.

Als ich jetzt also nach Hause kam und im Radio diese Aufforderungen hörte, habe ich zuerst gedacht, dass die Witze machen oder dass das eine Parodie sein sollte, doch schnell wurde klar,  dass die das wirklich ernst meinten. Es wurde noch mehrmals wiederholt und immer auch mit der exakten Uhrzeit seiner Ankunft.  Es war einfach unglaublich! Sollten die wirklich meinen, dass heute, an diesem Tag eines zu 100 % befolgtem Generalstreiks jemand diesen Aufruf nun befolgen würde ??  So dumm konnte doch wohl keiner sein !

Die Frage ließ mich nicht los und gegen den entschiedenen Protest von Jeannette habe ich mich ins Auto gesetzt und bin zum Flughafen gefahren. Ich wollte selber sehen, ob die Togoer zu solch einem abnormen Verhalten fähig wären. Doch ich fuhr durch menschenleere Straßen. Nur an der langen Strecke der Straße zum Flughafen stand unter jedem zweiten Baum wie üblich ein Soldat mit schussbereiter Waffe, aber andere Leute waren nicht zu sehen. Ich bin dann noch zum Flughafen rein gefahren und habe oben von der Aussichtsterrasse einen Blick auf das Rollfeld geworfen wo das diplomatische Corps gerade Aufstellung nahm entlang des roten Teppichs, denn die können sich nicht drücken, für die war das Erscheinen dort wirklich Pflicht. Ich bin dann gleich wieder zurück gefahren nach Haus und auch dabei waren zunächst noch keine Menschen auf den Straßen zu sehen, bis ich an die Kreuzung beim „Friedenshuhn“ kam, wie der Volksmund das Denkmal nannte, das der Präsident dort hatte errichten lassen und das eine marmorne Taube trägt, die aber wirklich mehr an ein Huhn erinnerte als an eine Taube. Dort stand nun ein Polizeiposten, der mich nach rechts abwinkte, hin zur Atakpamestraße, die beiden anderen Richtungen waren gesperrt.

Die Strecke, die ich nun fahren musste ist vierspurig und mit einem Grünstreifen in der Mitte, also sehr breit und macht schon kurz nach der Kreuzung einen Knick nach links, so dass der Rest der Straße von der Kreuzung aus nicht einsehbar ist. Und hinter diesem Schwenk der Straße kam mir nun eine große Menge Leute entgegen, wild gestikulierend mit Stöcken, Macheten und anderen Hieb- und Stichinstrumenten und die ganze Breite der Straße einnehmend, so dass keinerlei Ausweichen oder Umkehren möglich war. Es waren die Kabyes, die Ethnie oder das Volk des Präsidenten, seine treue Anhängerschaft, die nun auf dem Weg zum Flughafen waren um ihrem Präsidenten nun den ihm gebührenden Empfang zu erweisen und sich dazu entsprechend vollgepumpt hatten mit Sodaby und Palmwein.

Ich musste also anhalten, um sie vorbei zu lassen. Doch sofort war ich umringt von ihnen, es wurde von allen Seiten auf das Auto eingetrommelt und sie schrien, ob ich Franzose wäre und rissen an den Türen, um mich heraus zu holen. Rettung brachten dann einige ehemalige Arbeitskollegen aus  meinem ersten Projekt in Cacavelli, die ja auch alles Kabyes waren und die jetzt auch in diesem Haufen waren und mich nun gegen ihre aufgeputschten Landsleute in Schutz nahmen. Als der ganze Spuk dann endlich vorüber war, habe ich erst einmal ein paar Minuten gebraucht, um mich wieder zu beruhigen, bevor ich dann weiter fahren konnte nach Hause.

Abends im Fernsehen wurde dann in den Nachrichten der „Chalereuse accueil“ des Präsidenten mit jubelnden Menschenmassen gezeigt. Es war genau diese Gruppe Kabyes die in der ganzen Breite der Straße hinter dem Präsidentenauto herlief und das Kamerateam des Fernsehens fuhr direkt vor dem Präsidentenauto, so dass der Eindruck vermittelt wurde, dass trotz des Streiks die Straßen voller Menschen gewesen wären. Nur einmal, in der Kurve der Straße an der Abzweigung nach Bé hin, hat die fest installierte Kamera plötzlich für einige Sekunden den leeren Straßenrand im Bild und die Bildredaktion hat das wohl übersehen und nicht heraus geschnitten.

Berichterstattung a la Togo !

Die Togoer haben diesen Streik neun Monate lang durchgehalten !

 

Der Abbau des Präsidentendenkmals

 

Wenn man in Lome vom großen Mark kommend in Richtung Regierungsviertel marschiert, kommt man auf den großen Platz der Unabhängigkeit, der nach Süden hin vom eindrucksvollen Bau des Gebäudes der Einheitspartei und des Museums begrenzt wird, in der nordwestlichen Ecke das Monument der Unabhängigkeit beherbergt und gegenüber in der nordöstlichen Ecke eine riesige Statue des Präsidenten auf einem Betonsockel zeigt, die mit entrücktem Blick gen Himmel und richtungweisend erhobenem Arm die Togoer permanent an die Einzigartigkeit ihres Präsidenten erinnert.

Dieses Denkmal war mehrere Male während der heißen Phasen des Bürgerkriegs das Ziel von Attacken mit Molotowcocktails, Spitzhacken und Stemmeisen, aber Beton und Bronze sind hart und hatten bislang allen Anstürmen standgehalten.  Es war wohl auch nicht so sehr der Wille des wirklichen Zerstörens hinter diesen Aktionen als vielmehr der symbolische Ausdruck, der mit diesem Handeln kundgetan wurde: dass man ihn nicht mehr haben will!

                                                                                                 

Es war dann an einem Sonntagmorgen, an dem die Stadt wieder in Aufruhr geriet. Mit Windeseile pflanzte sich die Nachricht fort. „Das Denkmal ist weg!“ In einer Nacht- und Nebelaktion musste das togoische Militär in der Nacht die Statue vom Sockel geholt haben und in Sicherheit gebracht haben. Um den nun leeren Sockel kam es in kürzester Zeit zu einem Volksfest. Und dann begann die wirkliche Zerstörung des Sockels: mit Hämmern und Hacken, mit Picken und Brecheisen wurde nun das Werk vollendet. Da ich zu der Zeit oben in der Nähe des Krankenhauses wohnte, habe ich davon erst etwas mitbekommen, als die Leute singend und laut gestikulierend aus der Stadt zurück kamen und dabei alle mehr oder weniger große Stein- oder Betonbrocken auf dem Kopf nach Hause schleppten. Da mir im Moment nicht klar war, was das nun wieder zu bedeuten hatte, habe ich ein paar junge  Leute angehalten und gefragt, was sie denn mit dem Steinzeugs wollten und woher sie die hätten. Und nach einer kurzen Erklärung des Geschehens sagte mir der junge Mann dann ganz stolz zum Abschluss seiner Rede: „C’est notre mur de Berlin, Monsieur!“  „Das ist unsere Mauer von Berlin, Monsieur!“

                                                                                                   

Die Ausgangssperren

 

Etwas, was ich als besonders unangenehm und lästig empfunden habe, waren die immer wieder verhängten Ausgangssperren. Da die aber immer dann angeordnet wurden, wenn das Militär sich mal wieder durch Übergriffe gegen die eigene Bevölkerung disqualifiziert hatte, hätten diese Ausgangssperren eigentlich gegen das Militär verhängt werden müssen und nicht gegen die Opfer. Aber es war ja nichts mehr normal in dieser Zeit und so wurden eben die Unschuldigen bestraft, aber niemals die Täter.

Jeannette und die Kinder hatte ich nach Ghana rüber geschafft, als der DED die Evakuierung aller Familienmitglieder beschlossen hatte und die deutschen Frauen und Kinder nach Deutschland ausgeflogen hatte. Und ich war vom Beauftragten gebeten worden, in das Gästehaus des DED einzuziehen, damit dort permanent jemand anwesend war als Verantwortlicher. Ich hatte eine ganze Etage für mich allein, unter mir waren die Gästezimmer, aber Gäste waren in der Zeit selten. Der Nachteil war: Das Haus lag in Kodjoviakope, einem Viertel, das auf der anderen Straßenseite des ehemaligen deutschen Gouverneurspalastes begann und sich am ganzen Strand längs bis zur Ghanagrenze hinzieht, eine Ecke also, die hochsensibel war. Der Gouverneurspalast war zeitweilig der Sitz der ersten, von der Nationalversammlung eingesetzten Übergangsregierung, die später dann vom togoischen Militär dort heraus geschossen worden ist. Und da es auch häufig Übergriffe von ghanaischem Boden aus gab, war das ganze Viertel voll gespickt mit Militärposten. 

Auch mehrere Botschaften waren dort ansässig, unter anderen auch die französische und die deutsche Botschaft, direkt unten am Strand. Es war während der ersten Ausgangssperre, wo alle noch recht nervös und ungeübt waren, (später bekam man schon  eine richtige Routine), als mir am dritten Tag die Lebensmittel ausgingen.  Ich hatte auch den Nachtwächter mit versorgt, der ja auch nicht nach Hause gehen konnte, weil ja alle größeren Straßen und vor allem alle Kreuzungen von den Militärs besetzt waren und weil nur Fahrzeuge des diplomatischen Corps und des Corps-Consulaire passieren durften.

Aber was soll man machen, wenn man Hunger hat ?

 

Am vierten Tag habe ich meinen Nachtwächter ins Auto gepackt, habe meinen Dienstausweis vom DED an die Scheibe geklebt und bin losgefahren.  Und es hat geklappt. An einigen Kontrollstellen wurde zwar gemäkelt, aber letztlich haben sie mich fahren lassen. So habe ich also meinen Nachtwächter bei seiner Familie abgeliefert, bin beim Bäcker vorbeigefahren und der „Bonne femme“, wo ich wusste, wo der Hintereingang war und habe mich mit Baguettes und Corned Beef und Sardinen eingedeckt.

Ein anderes mal wäre das Brotholen fast schiefgegangen. Die Posten, die überall im Viertel patrollierten, hatten die Angewohnheit, von Zeit zu Zeit in die Luft zu schießen. Wenn dann einer damit anfing, antworteten nach und nach die anderen und so konnte man  also aus den Schüssen heraus hören, wo sie sich gerade befanden. Wenn es also nebenbei ruhig blieb, konnte man ganz schnell entlang der Mauern zum Bäcker hinkommen, der von mir aus um drei Ecken herum zu erreichen war. Ich hatte genau auf die Schüsse geachtet und war auch gut zum Bäcker hingekommen. Sein Hof war voller Menschen, die warteten, weil die Baguettes noch im Ofen waren. Als wir dann später alle versorgt waren,  ließ er immer nur eine Person gehen, nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Luft rein war. Als ich dann an der Reihe war und auch gut um die zweite Ecke herum war, wurde hinter mir geschossen und der Bäcker erzählte mir später, dass man seinen Kunden, der nach mir gegangen war, angeschossen hatte und dass der nun mit einem Oberschenkelschuß im Krankenhaus liege. Es gibt noch eine andere Story über dieses in die Luft schießen., die bei einem anderen EH passiert ist, der etwas weiter hinten im Quartier wohnte. Da gab es einen Posten, der sich des abends immer vor seiner Garage einrichtete für die Nacht, weil dort eine Lampe war. Wenn es dann an der Zeit war, mal wieder auf das Schießen der anderen zu antworten, nahmen sie nur eines der Gewehre, die an der Wand lehnen, drückten ab und lehnten es wieder zurück an die Wand. Nun gingen aber seine Stromleitungen direkt über der Garage an sein Haus und eines abends ist es denn auch tatsächlich passiert, dass einer der Soldaten abdrückte und rums war es dunkel im Haus. Er hatte eines der Kabel abgeschossen!

 

Die Barrikade

 

Im Jahre 1993 kam es dann auch an der Grenze nach Ghana zu direkten Konfrontationen zwischen togoischen und ghanaischen Sicherheitskräften, die sich über mehrere Tage hinzogen.

Folge: Die Grenze wurde verbarrikadiert.

Nun hatte ich ja noch ein „Laissez-passez“, einen Passierschein der togoischen Surete, der mir das Verlassen des Landes und das Wiedereintreten ohne neuerliche Zollformalitäten gestattete, damit ich regelmäßig meine Familie in Ghana besuchen konnte. Doch nun war dieses Laissez-passez  nichts mehr wert, denn nun stand die Grenze ja unter der Aufsicht des Militärs und war sogar zum Sperrgebiet erklärt worden. Was sollte ich nun also machen, um meine Familie zu besuchen? Der Surete-Offizier sagte mir, ich müsse mich an das Verteidigungsministerium wenden, denn nur dort könne jetzt über mein Anliegen entschieden werden. Das hieß aber, sich direkt in die Höhle des Löwen zu begeben, denn das Verteidungsministerium liegt auf dem Gelände der Präsidenz, die selbst in Friedenszeiten Sperrgebiet war und nur mit Sondererlaubnis zu betreten ist. Also habe ich mir selbst Mut gemacht und bin erst einmal zu Fuß bis zu einem der Posten an einem der Eingänge marschiert und wollte fragen, was zu machen sei.

Doch da geschah etwas völlig Unerwartetes für mich: Der Soldat kam aus seinem Häuschen rausgestürtzt und begrüßte mich wie seinen leibhaftigen Bruder und konnte sich gar nicht wieder einholen vor lauter Freude, mich wiederzusehen. Und er rief auch gleich noch einen seiner anderen Kameraden und auch der war die Herzlichkeit in Person: Es waren zwei von denen, die sieben Jahre vorher vor unserem Haus in Tokoin Wache gestanden hatten und unsere Toilette und Dusche hatten nutzen dürfen.

Die zwei haben mich dann gleich bis ins Vorzimmer des Ministers geleitet, haben den Adjudanten dort instruiert, was ich wollte und schon am nächsten Tag konnte ich wieder kommen und mein Papier abholen. Nun hatte ich einen Passierschein, der vom Verteidigungsminister selbst unterschrieben war und sogar die Anweisung enthielt, mir beim Passieren der Grenze jegliche Hilfe zu gewähren, die nötig sei. Am nächsten Wochenende bin ich dann mit meinem frischen Passierschein zur Grenze gefahren. 

Die Überraschung dort war groß. Die Soldaten hatten so ein Papier noch nicht gesehen und der wachhabende Offizier hat erst einmal mehrere Telefongespräche geführt, bevor er überzeugt war, dass ich ihm keine Fälschung vorgelegt hatte. Dann aber mussten seine Soldaten ein Stück von der Barrikade abbauen, gerade so viel, dass ich mit dem Auto hindurch kommen konnte und hinter mir haben sie dann schnell alles wieder dicht gemacht. Nun stand ich also im Niemandsland zwischen den beiden Fronten und vor mir auf der ghanaischen Seite war auch das große Tor dicht gemacht und mit einer schweren Kette und Vorhängeschloss gesichert und dahinter kein Mensch zu sehen.  Was also tun?  Ich habe mich fürs Hupen entschieden, zuerst noch ein wenig zaghaft mit kurzen Intervallen, aber darauf hin rührte sich nichts, dann mit Dauerton, und das half.  Vorsichtig kamen daraufhin einige Soldaten und dann auch ein Zollbeamter aus dem Wachhäuschen und guckten genau so erstaunt wie vorher ihre togoischen Pendants auf der anderen Seite der Barrikade. Doch dann wurde die Kette aufgeschlossen, das Tor geöffnet und ich konnte nach Ghana einfahren.

  

Ja, so gab es in dieser schlimmen Zeit auch viele Geschichten, die ein Lächeln provozieren können, aber auch viele andere, die so schlimm waren, dass sie die Grenze menschlicher Vorstellungskraft erreichten. Dazu gehörten die Geschichten, die von Betroffenen des Terrorregimes des Eyadema auf der Nationalkonferenz berichtet wurden, dazu gehört auch die Geschichte, die einem togoischen Freund von mir widerfahren ist, Monsieur Atsou.  Wir hatten uns kennen gelernt, als ich eine Versicherung für mein Auto abschließen wollte. Er war der Direktor dieser Agence in Lome und  dabei kamen wir ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass er nicht weit weg von meinem ersten Arbeitsplatz in Cacavelli wohnte, aber aus einem kleinen Dorf weiter nördlich stammte und dass er schon seit längerem Kontakt zu Organisationen suchte, die für die dörfliche Entwicklung Programme anbieten konnten. Wir haben uns dann sehr oft getroffen zum diskutieren und um über die Situation in Togo zu reden. Ich habe viel von ihm erfahren, was man nicht in den öffentlichen Medien finden konnte.

Eines Tages wurde mir erzählt, dass Monsieur Atsou verschwunden sei. Er habe eine Sitzung mit Versicherungsvertretern gehabt und sei danach nicht mehr nach Haus gekommen. Sechs Tage später hat man seine Leiche gefunden: verbrannt und auf einem Feld verschart, direkt neben einem Kontrollposten des Militärs an der Bretelle von der Kpalimestraße zur Atakpamestraße. Sein Auto wurde auch entdeckt, es wurde von einem Militär aus Lama-Kara gefahren. Aber niemand ist für dieses Verbrechen zur Rechenschaft gezogen worden: die Militärs stehen unter dem besonderen Schutz des Präsidenten und sind unantastbar.

 

Dieser Präsident ist nun schon seit 36 Jahren an der Macht.

                                                                                                                  Wilfr. Reese 

 

 

 

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