Freitag Morgen 6.45Uhr im März 1993.
Felix I ruft Benny
So lautete einer der wöchentlichen Routinefunkrufe des DED-Beauftragten mit den Angehörigen des DED in Togo und einer Reihe weiterer Deutscher, die in diesen unruhigen Zeiten in Togo aushielten. Es war zu überprüfen, ob die Geräte funktionierten, jeder damit umgehen konnte, sich die Teilnehmer an den Krisenplan hielten und ob sie überhaupt noch erreichbar waren. Handys gab’s zu jener Zeit noch nicht.
Nach langjährigen Aufenthalten in Madagaskar, Mali, Niger und in der Geschäftsstelle des DED in Berlin, war ich am 1.8.1987alsLandesbeauftragter des DED nach Togo gekommen und hatte die Verantwortung für das DED-Programm mit rd. 35 Entwicklungshelferinnen und -helfern übernommen.
Nachdem am I 5 .3 . 1993 alle Mitarbeiter der GTZ das Land verlassen hatten, war der DED die einzige deutsche Organisation, die in Togo verblieben war, und hatte – in Absprache mit der Botschaft – den Sicherheitsfunk übernommen und ausgebaut. Voraus gegangen war der seit dem 5.10.1990 mit einer Demonstration für die Pressefreiheit begonnene Demokratisierungsprozess, der sich mehr oder weniger blutig bis Ende 1994 hinzog und der bis heute nicht beendet ist.
Bereits im Dezember 1991 wurde die finanzielle Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland nach blutigen Zwischenfällen zwischen der togoischen Armee und der Zivilbevölkerung eingestellt, später wieder aufgenommen und am 71.2.1993 zusammen mit der technischen Zusammenarbeit beendet. Inzwischen hatte auch die togoische Armee den Amtssitz der Übergangsregierung Koffigoh unter schweren Verlusten auf beiden Seiten gestürmt und die legale Übergangsregierung gestürzt.
Am 25. Januar 1993,als der Staatsminister im Auswärtigen Amt mit dem französischen Außenminister den Staatspräsidenten Togos besuchte, wurden sie – wie wir alle – Augenzeugen eines neuerlichen Massakers an friedlichen Demonstranten. Einige Tage danach versetzten raubende und plündernde Militäreinheiten Lomé erneut in Angst und Schrecken, Damit war die Geduld der deutschen Diplomatie und zunächst auch die der französischen am Ende. (Die französische Regierung nahm ihre Entwicklungszusammenarbeit am 1.7.1994 wieder auf, die deutsche ist bis heute mehr oder weniger eingestellt.
Die folgenden Monate und Jahre waren bestimmt durch einen Massenexodus von mehr als der Hälfte der Einwohner Lomés, einen neunmonatigen Generalstreik, durch Übergriffe des Militärs und der Gendarmerie auf die Bevölkerung, durch politische Morde, Zerstörungen, Gewalt. Dies alles führte nicht zum Sturz der Regierung Eyadema. Eine zersplitterte und uneinige Opposition war nicht in der Lage, die Situation wesentlich zu beeinflussen.
Während Lomé bis zum Beginn der 90er Jahre noch ein friedliches, sicheres Land war, nahm im Chaos der Ereignisse auch die ,,normale" Kriminalität erschreckend zu. Gewaltandrohung- und Anwendung bei Diebstählen oder Überfällen war nicht mehr die Ausnahme sondern die Regel geworden. Auch die unzähligen Kontrollen in Lomé und im Land durch Polizei, Gendarmerie und Militär entsprachen immer mehr einer räuberischen Erpressung als einer staatlichen Kontrolle und waren ausgesprochen lästig, behindernd und demoralisierend.
Eine Nationalkonferenz, Vermittlungsversuche auf internationaler Ebene, "freie Wahlen" (die amerikanischen, deutschen und EU-Wahlbeobachter verließen aus Protest noch vor den eigentlichen Wahlen das Land) legitimieren heute Präsident Eyadema mehr oder weniger demokratisch. Er bleibt weiter an der Macht und das Land verharrt trotz allen Leids und Anstrengungen für einen demokratischen Regimewechsel in einer sozialen, wirtschaftlichen und politischen Starre .
Nach den Schießereien auf friedliche Demonstranten im Januar, zogen hunderttausende Lomér mit Frauen und Kindern, beladen mit ein paar Habseligkeiten, in endlosen Reihen über die nur einige hundert Meter entfernten Grenzen nach Ghana und Benin. Andere brachten ihre Familien im Landesinnern in vermeintliche Sicherheit. In wenigen Tagen war das sonst so quirlige und bunte Leben in den Straßen der Hauptstadt wie ausgestorben, belebt nur durch betrunkene und mit Rauschgift und Amphetaminen vollgepumpten, "Sicherheitspatrouillen" togoischer Uniformierter. In der Straße meines Wohnhauses im Viertels Tokoin-Ouest, in der sonst hunderte Personen wohnten, lebten außer uns noch ein Arzt der französischen Freiwilligenorganisation AFVP, ein pensionierter togoischer Vermessungsingenieur mit französischen Pass und Ambroise mit seiner Erstfrau in der Buvette ,,Sous le Manguier", die während der folgenden Monate des Generalstreiks zum Treff- und Informationspunkt des DED wurden.
Das Wohnviertel um das in Strandnähe gelegene Bistro war ebenfalls verwaist und ein Zugang oder auch nur das Verlassen waren nicht immer möglich. Da die deutsche Botschaft zeitweise zu dem von togoischer Seite erklärten Sperrgebiet gehörte, fanden deren Krisensitzungen im Hause des Beauftragten statt. Ausgangsperren, Sperrung der Landesgrenzen und die zweimalige Zerstörung der staatlichen Satellitentelefonverbindung erschwerten die Lage zusätzlich, weckten aber auch innerhalb und außerhalb des DED Kräfte des Zusammenhaltes und der Improvisation.
Der neunmonatige Generalstreik teilte das Land in zwei Hälften: den Süden, in dem nur mit Müh und Not ein einigermaßen normales Leben und Arbeiten möglich war, und den Norden, in dem die Normalität dekretiert und auch weitgehend aufrecht erhalten wurde. Die Entwicklungshelferkonnten dort in ihren Projekten bei privaten Trägern ihrer Arbeit nachgehen (im Süden war das nur unter Einschränkungen möglich). Immer dann, wenn wieder eine Beruhigungsphase eintrat, kamen die Kollegen aus dem Norden in einer Eilaktion nach Lomé, um sich mit Nachrichten und Geld zu versorgen. Diese Besuche waren besonders willkommen, da in Kara die Brauerei normal arbeitete, während die Brauerei in Lomé schon lange nichts mehr liefern konnte. So fanden die Versorgungsfahrten diesmal in umgekehrter Richtung statt.
Jeden Freitag oder wenn, "Nordisten" in Lomé waren fanden im Büro mit allen DED-Angehörigen Treffen statt, in denen die Situation und die persönlichen Erfahrungen ausgetauscht, erörtert und bewertet wurden. Sehr oft waren der Botschafter oder wenige verbliebene togoische Partner willkommene Gäste. So gelang es in der unsicheren Lage doch ein Stück Normalität zu bewahren, die ergänzt wurde durch die diensttägliche Abendrunde bei Ambroise, sie fand wegen der Ausgangsperre auch schon mal am Nachmittag statt.
Die über Wochen ausgefallene Telefonverbindung und der Generalstreik stellten innerhalb des DED Kommunikation und Geldversorgung vor einige Probleme. Die Geldversorgung konnte ziemlich schnell aufgrund des Verständnisses der Geschäftsstelle in Berlin unkonventionell und prüfungssicher geregelt werden. Die Kommunikation wurde mit den gelegentlich verkehrenden Flugzeugen und über die Reisenden schriftlich mehr schlecht als recht aufrechterhalten.
Eine Episode ist mir heute noch in Erinnerung. Irgendwann während der wochenlangen Telefon-, Ausgangs- und Grenzsperre fiel mir ein, dass es noch eine alte Telefon-Überlandleitung nach Benin gibt, die eigentlich noch funktionieren könnte. Da andere schon früher auf diese Idee gekommen waren, gelang es mir erst nach nächtelangen Versuchen, morgens um 3.00Uhr, den DED Assistenten in Benin zu erreichen. Nach Schilderung der Lage, insbesondere der Situation der einzelnen EH zur weiteren Information ihrer Angehörigen fragte ich zum Schluss noch nach Neuigkeiten aus der Geschäftsstelle. Fast verlegen und hilflos erzählte er mir, dass es nur eine einzige Nachricht gäbe: Das DED-Büro Togo sei aufgefordert, unverzüglich die Zahlen des Jahresabschlusses an die Verwaltung zu übermitteln, damit dort die Haushaltsreste verteilt werden können. Diese Zahlen hatte die Verwaltungsassistentin in Lomé zwei Tage zuvor erstellt, wobei ihr auf dem Weg ins Büro von einer marodierenden Bande noch die Armbanduhr abgenommen wurde. Ohne Rücksicht auf das Telefonbudget bestand ich gegen seinen Willen darauf, dieses Zahlenwerk komplett durchzugeben.
Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DED waren dies schwierige und gefährliche Jahre, die ganz wesentlich die Programmarbeit beeinflussten. Der Gefährdungsgrad wurde durchaus unterschiedlich beurteilt. So hielt ein Mitglied der Programmabteilung in Berlin die Autofahrten von Berlin nach Frankfurt für ebenso gefährlich wie einen Aufenthalt in Togo. Durch Besonnenheit, Umsicht und vernünftiges Krisenverhalten aller kam in diesen Jahren niemand vom DED zu Schaden. Traurigerweise verloren wir die Entwicklungshelferin Elisabeth Mesmer-Mewes bei einem Autounfall.
Der DED als Instrument der personellen Zusammenarbeit war alleine durch seine wenn auch verringerte Präsenz – ein Lichtlein der Hoffnung und Solidarität für Projektpartner und Zeitzeugen dieser menschenverachtenden Politik eines unverbesserlichen Diktators. Wenn wir auch nicht viel verhindern konnten, so war doch die Anwesenheit des DED in Lomé und im ganzen Land ab und zu ein Hemmnis für ein noch brutaleres Vorgehen seitens der Eyadema-Anhänger. Immer gelang das nicht. So mussten die EH in der Region Kara (der Heimat des Präsidenten) nach Übergriffen junger Partei-Gefolgsleute für einige Wochen fluchtartig das Land verlassen. Auch zwischendurch mussten immer wieder Zwangsurlaube gewährt werden oder Neueinreisende auf ihre Einreise warten, bis wieder eine ruhigere Phase eintrat. Maßnahmen, die von allen Beteiligten Geduld und Verständnis verlangten. Nicht jeder war mit unserer Rolle einverstanden, wie beiliegende Dokumente zeigen. Noch gefährlicher waren jedoch die Zeiten für die mit Repressalien, ja selbst Mord bedrohten togoischen Demokraten, von denen einige getötet wurden.
Die Einstellung der deutschen finanziellen und technischen Zusammenarbeit blieb nicht ohne Folgen für die Programmarbeit des DED. Zum einen drängte das BMZ auf eine möglichst geringe Zahl an EH, was aufgrund der Sicherheitslage uns gar nicht unrecht war, zum anderen fielen die Kooperationsplätze mit der GTZ weg, und die Zusammenarbeit mit rein staatlichen Stellen, wie zum Beispiel an den Gewerbeschulen, musste beendet werden. Hier traf es sich gut, dass der DED schon seit Ende der 80er Jahre begonnen hatte, das Programm hin zur Unterstützung von Selbsthilfegruppen und einheimischen Organisationen umzuorientieren. Durch die Teilnahme am Pilotprojekt Partnerschaftshelfer und einer Reihe von Kontakten mit den Mitarbeitern von Don Bosco gelang es, den Schwerpunkt der Programmarbeit gezielt zu verlagern und die Krise auch als Chance zu begreifen, die die Möglichkeit gab, ein modernes DED-Programm zu gestalten.
So blieben in den unruhigen Zeiten doch etwa 20 Arbeitsplätze mit erfahrenen und ,,krisenfesten" Entwicklungshelfern erhalten. Die in den Projekten geleistete Arbeit mit den einheimischen Organisationen erwies sich gerade in diesen politischen Umbruchzeiten als sinnvoll. Von den ihren Pflichten immer weniger nachkommenden staatlichen Institutionen, den geplünderten Staats- und Sozialkassen eingeschlossen, war nichts mehr zu erwarten. Die Einwohner Togos mussten sich auf ihre Selbsthilfekräfte besinnen und sich in jeder Hinsicht selbst helfen. Hier war die personelle Unterstützung des DED und die finanzielle Beteiligung (Welthungerhilfe, Brot für die Welt und DED) Hilfe, die zur rechten Zeit am rechten Ort war.
Schon alleine das Einüben demokratischer Verhaltensweisen in den Basisgruppen war ein wichtiger Beitrag zum Aufbau und zur Stärkung einer Zivilgesellschaft, von der wir uns dann auch eine Änderung der Politik erhofft hatten. Diese Arbeit wäre sicherlich auch heute noch sinnvoll, denn es würde den Menschen Hoffnung machen in der Gegenwart und in ihren Erwartungen auf eine Zeit nach Eyadema. Nach dem der DED in schwierigen Zeiten seinen Beitrag in Togo unter Eingehen von nicht zu unterschätzenden Risiken geleistet hat, ist es auch für Außenstehende nicht sehr verständlich, warum der DED jetzt, wo wieder seit einigen Jahren, "Friedhofsruhe" eingekehrt ist, seine Arbeit in diesem Land beendet. Für die Menschen ist das weder ein Zeichen der Hoffnung noch der Solidarität. Beides sind vermutlich Begriffe die nach 40 Jahren Bestehen des DED für ihn wohl leider keine große Rolle mehr spielen. Ich hoffe aber, dass in den Jahrzehnten der Mitarbeit des DED in Togo die Entwicklungshelfermehr Spuren ihrer Arbeit mit den Togoern hinterlassen haben und nicht nur einen allerletzten ".Funkspruch"
Felix eins ruft Benny: ,,die Straßen von Lomé sind Schnee- und Eisfrei"
diesen Satz, der besagt, dass in Lomé – oberflächlich gesehen – alles n Ordnung ist, wird man nun nicht mehr hören. Schade.
Rudi Schwarzwälder
Beauftragter des DED in Togo von 1987 -1995